Zügel nachfassen!

Einleitung


Jeder Reitschüler hat schon unzählige Male die Anweisung gehört: “Zügel nachfassen!” Aber viele Reiter haben Schwierigkeiten bei der Umsetzung, weil sie sie wörtlich nehmen und die Lehrer meistens nicht erklären wie und warum die Zügel nachgefasst werden sollen. Also verkürzen sie die Zügel von vorn nach hinten und viele Pferde leisten mehr oder weniger heftigen Widerstand gegen die Hand.

 


Das ist so ein Fall, in dem die Anweisung vielleicht vollkommen richtig ist, aber für die meisten Schüler zu unvollständig, um nachvollziehbar zu sein. “Zügel nachfassen" ist eine dieser Anweisungen, die in konkrete, praktische Einzelschritte übersetzt werden muss, weil man von hinten her anfangen muss. Sonst kann es häßliche Auseinandersetzungen mit dem Pferd geben.


Im Grunde geht man folgendermaßen vor:

  • Man aktiviert die Hinterbeine und bringt sie unter den Körper,
  • dann setzt man sich auf die Hinterbeine drauf (buchstäblich) und beugt sie.
  • Zum Abschluss kann man das Zügelmaß verkürzen, weil der Abstand zwischen den Hinterbeinen und dem Gebiß abgenommen hat.


Bevor man mit diesem Vorgang beginnt, sollte man die Zügellänge so bemessen, dass man die Hinterbeine in den Händen fühlen kann. Die Zügel sollten also nicht durchhängen.
In manchen Fällen genügt es, das innere Hinterbein mit dem inneren Schenkel für ein paar Trittezu treiben, dann das äußere Hinterbein mit eine halben Parade zu beugen, indem man für einen Augenblick etwas tiefer sitzt. Dann kann man die Zügel nachfassen.


Manchmal braucht man allerdings etwas effektivere Mittel. Man kann die Wirkung der normalen treibenden Schenkelhilfe “verstärken”, indem man ein Hinterbein durch übertreten mehr unter den Körper bringt. Man kann die Wirkung der gewöhnlichen halben Parade “verstärken”, indem man in eines der Hinterbeine anhält. Will man das innere Hinterbein belasten und beugen, kann man das zusätzlich durch Wenden erreichen (z.B. Ecke, Hinterhandwendung).

 

Übungen


Diese elementaren Einzelschritte kann man zu vielen verschiedenen Kombinationen zusammenbauen. Ich werde hier eine kleine Auswahl zum Ausprobieren geben.
 


Übung 1:

  • Reiten Sie einen Zirkel oder eine Volte. Vergrößern Sie den Zirkel in 2 Tritten des inneren Hinterbeins um 1 Pferdebreite (1. Test des inneren Hinterbeins): Setzen Sie den inneren Schenkel ein, wenn sich das innere Hinterbein in der Luft befindet.
  • Beugen Sie das äußere Hinterbein in 2 Tritten: 2 halbe Paraden am äußeren Zügel, wenn das äußere Hinterbein aufgefußt hat (1. Test des äußeren Hinterbeins).
  • Versuchen Sie, das Zügelmaß zu verkürzen.

Zirkel vergrößern bringt das innere Hinterbein mehr unter den Körper und überträgt das Gewicht auf das äußere Beinpaar. Es bringt das Pferd auch von den inneren Hilfen an den äußeren Schenkel und Zügel und es verkürzt den “Radstand” des Pferdes. Es reduziert allmählich den Abstand zwischen Hinterbeinen und den Vorderbeinen. Die beiden halben Paraden beugen die Gelenke des äußeren Hinterbeines mehr, sodass sich die Balance des Pferdes verbessert und man die Zügel nachfassen kann. Man muss diese Einzelschritte manchmal mehrfach wiederholen, bis das Pferd die Balance und das Zügelmaß erreicht hat, die man anstrebt.


Diese Übung ist besonders effektiv auf der steifen Seite des Pferdes, wo das Pferd dazu neigt, sich auf die innere Schulter zu legen und sich nach außen zu biegen. Zirkel vergrößern überträgt das Übergewicht von der inneren Schulter auf das äußere Beinpaar und die halben Paraden übertragen es speziell auf das äußere Hinterbein. Dadurch hat die Übung eine gute geraderichtende Wirkung.

 

Übung 2:

  • Schultervor auf dem Zirkel (oder einer geraden Linie) (2. Test des inneren Hinterbeins): Setzen Sie den inneren Schenkel ein, wenn sich das innere Hinterbein in der Luft befindet.
  • Beugen Sie das äußere Hinterbein in 2 Tritten: 2 halbe Paraden am äußeren Zügel, wenn das äußere Hinterbein aufgefußt hat (1. Test des äußeren Hinterbeins).
  • Versuchen Sie, das Zügelmaß zu verkürzen.

Diese Übung ist besonders effektiv auf der hohlen Seite des Pferdes, wo das Pferd dazu neigt, mit der Schulter nach außen und mit der Hinterhand nach innen auszuweichen. Sie besitzt ebenfalls eine geraderichtende Wirkung.

 

Übung 3:

  • Konterschultervor auf dem Zirkel (3. Test des äußeren Hinterbeins): Setzen Sie den inneren Schenkel ein, wenn sich das innere Hinterbein (innen im Sinne der Biegung) in der Luft befindet.
  • Bringen Sie die Kruppe wieder zurück auf den 1. Hufschlag, biegen Sie das Pferd nach innen und halten Sie ins äußere Hinterbein an: 3 halbe Paraden am äußeren Zügel, wenn das äußere Hinterbeinaufgefußt hat.


Versuchen Sie, das Zügelmaß zu verkürzen.

Diese Übung bringt das Hinterbein mehr unter den Körper, das den größeren Kreisbogen beschreibt und überträgt das Gewicht auf das Hinterbein, das den kleineren Kreisbogen beschreibt. Wenn man zum einfachen Hufschlag zurückkehrt, kann man sich auf das äußere Hinterbein draufsetzen und es mit Hilfe des Gewichts und der halben Paraden beugen. Man kann nun entweder mit 3 halben Paraden anhalten, wenn sich das äußere Hinterbein am Boden befindet, wie ich es oben beschrieben habe, oder man kann das Tempo mit 2 halben Paraden verlangsamen und in derselben Gangart weiter reiten.


Diese Übung ist sowohl auf der hohlen wie auf der steifen Seite des Pferdes äußerst effektiv.

 

Übung 4:


Alle 3-6 Tritte abwechseln zwischen Schultervor und Konterschultervor auf dem Zirkel.


Diese Übung erlaubt uns, beide Hinterbeine unter den Körper zu bringen. Es gibt 3 verschiedene Möglichkeiten, wie man sie angehen kann. Man kann entweder die Vorderbeine auf ihrer Zirkellinie belassen und nur die Hinterbeine nach innen und aussen weichen lassen, wodurch insbesondere die Hinterbeine und die Wirbelsäule beweglich gemacht werden. Oder man hält die Hinterbeine auf der Zirkellinie und lässt nur Schultern nach innen und aussen abweichen, wodurch die Schultern und die Wirbelsäule mobilisiert werden. Die dritte Möglichkeit besteht darin, dass die Reiterin ihren eigenen Körper auf der Zirkellinie hält während die Schultern nach innen und die Kruppe nach aussen bewegt werden und umgekehrt. Dadurch wird der ganze Körper mobilisiert und der erforderliche Versammlungsgrad ist geringer.


Diese Übung verbessert das Körpergefühl des Pferdes, sowie seine Aufmerksamkeit gegenüber den Hilfen, sie verbessert die Geraderichtung und balanciert das Pferd zwischen den Hilfen aus.  
Dies ist ein äußerst effektives Mittel, um Pferd und Reiter dabei zu helfen, die sogenannte “gebogen -gerade” Richtung zu finden. Wenn man das Pferd von einem Seitengang zum anderen hin und her dreht, wird es immer wieder die “neutrale” Position überqueren, welche ihm leichter erscheinen wird als die Seitengänge, da es nicht übertreten muss. Je weiter man sich von dieser Ausrichtung auf den einfachen Hufschlag in Richtung Seitengang entfernt, desto anstrengender fühlt sich die Übung für das Pferd an. Daher wird es immer wieder gerne zur “Neutralposition” auf dem einfachen Hufschlag zurückkehren. Dort fühlt es sich in der Regel am rundesten, leichtesten und durchlässigsten an. Sobald man diese Position erkannt hat, kann man dort bleiben und eine Weile auf dem einfachen Hufschlag weiter reiten ohne überzutreten.


Diese Übung hat eine sehr gute geraderichtende Wirkung.

 

Zusammenfassung


Alle diese Übungen enthalten das vermehrte Untersetzen eines Hinterbeins, gefolgt vom Beugen der Hankengelenke. Sie werden Ihnen helfen, Ihr Pferd besser an die Hilfen zu stellen, es auszubalancieren, gerade zu richten und von hinten nach vorne zu schliessen, sodass Sie die Zügel allmählich ohne Widerstand von seiten des Pferdes nachfassen können.