Was mache ich, wenn mein Pferd nicht vorwärts geht?

Das ist eine Frage von einer Leserin, und es ist ein Problem, mit dem viele Reiter zu kämpfen haben. Warum ist das ein Problem, wenn das Pferd nicht vorwärts geht? Es ist ganz ähnlich wie bei einem Auto, das nicht beschleunigt, wenn man auf das Gaspedal tritt. Das führt die ganze Idee des Autofahrens oder des Reitens ad absurdum. Wenn man sich nicht vorwärts bewegen kann, kann man auch nicht lenken, und man wird nie dort ankommen, wo man hin will. Ein Pferd, das nicht vorwärts gehen will, wird nie Fortschritte in seiner Ausbildung machen und nie die höheren Klassen erreichen. Außerdem fangen viele gefährliche Unarten wie Steigen, Buckeln, Umkehren und Durchgehen nehmen ihren Ursprung in der Weigerung vorwärts zu gehen.

Daher möchte ich heute das Problem ein wenig beleuchten und Ihnen ein paar Hinweise geben, wie man das Problem angehen kann.

Wir haben wahrscheinlich alle schon Pferde erlebt die auf eine treibende Hilfe nicht mit Vorwärtsgehen reagieren. Manche scheinen die Hilfe zu ignorieren. Andere werden sogar noch langsamer und “fauler”, oder sie bleiben sogar ganz stehen. Das ist eine äußerst unangenehme Erfahrung, weil man sich einerseits sehr hilflos und inkompetent fühlt und andererseits all das nette theoretische Wissen, das man sich im Reitunterricht und in der Literatur angeeignet hat, auf dieses Pferd nicht zuzutreffen scheint. Nichts scheint zu funktionieren. Man steckt fest und sehr bald macht sich Frustration breit.

Das ist dann eine der Situationen, in denen es wichtig ist, dass man sich nicht von der Frustration überwältigen lässt, sondern versucht, durch Nachdenken eine Lösung des Problems zu finden. Und zum Glück gibt es hier verschiedene Möglichkeiten.

Als erstes müssen wir uns bewusst werden, dass die sichtbaren und fühlbaren Probleme, denen wir beim Reiten begegnen, lediglich Symptome an der Oberfläche sind. Anstatt unsere Zeit und Energie auf die Bekämpfung dieser Symptome zu verschwenden, sollten wir lieber einen Schritt zurück machen und herausfinden, wo diese Symptome herkommen. Wir müssen die zugrunde liegenden Ursachen finden und diese bearbeiten. Im Falle des Pferdes, das die treibenden Hilfen zu ignorieren scheint, ist unser erster Reflex wahrscheinlich, mit unseren Schenkeln zu quetschen, zu klemmen oder zu treten. Aber in vielen Fällen wird dies nicht helfen. Es kann die Situation sogar noch verschlimmern. Das Pferd wird vielleicht sogar zornig und verweigert die Kooperation komplett.

Bevor wir also die Lösung unseres Problems finden können, müssen wir seine URSACHE herausfinden. Wie können wir das tun?

Es gibt zwei Hauptgebiete, in denen wir nach einer Lösung suchen können:

  1.     Sitz und Einwirkung des Reiters
  2.     Das Pferd


Diese Gebiete können weiter unterteilt werden. Was den Sitz und die Einwirkung des Reiters angeht, so gibt es hier mindestens 8 Faktoren, die dazu führen können, dass das Pferd sich verhält und nicht mehr vorwärts geht:

  1. Zu wenig Rumpfspannung (wackeliger, instabiler Oberkörper, konkave Vorderlinie, konvexe Rückenlinie)
  2. vorgeneigter Oberkörper
  3. vorgeneigtes Becken
  4. steife Reiterhüften (verkürzte Hüftbeugemuskulatur)
  5. steife Handgelenke
  6. Klammerschenkel
  7. zu schwerer Sitz (zu viel Gewicht auf den Gesäßknochen, nicht genug auf den Innenseiten der Oberschenkel)
  8. steife Gesäßmuskeln

Dies sind Fehler, die sehr häufig vorkommen und die jeder Reiter, vor allem im Anfangsstadium seiner Entwicklung macht. Aber selbst fortgeschrittene, erfahrene Reiter sind nicht davor gefeit. Das ist keine Schande, es ist einfach ein Teil der Realität der praktischen Reiterei. Manche Pferde tolerieren diese Fehler besser, andere sind direkt allergisch dagegen und reagieren entsprechend heftig.


Der Reiter kann diese Sitzprobleme auf verschiedene Arten angehen. Am Boden kann man durch Yoga seine Geschmeidigkeit verbessern, durch die Feldenkrais Methode und die Alexander Technik Körperbewusstsein und Koordination, durch Pilates die Kraft in den Rumpfmuskeln. Auf dem Pferd kann man Sitzunterricht an der Longe nehmen, und wenn man für sich alleine reitet, kann man die Beziehung zwischen den Reaktionen des Pferdes und den Aktionen des Reiters sehr genau beobachten. Oft bemerkt man die Reaktion des Pferdes lange bevor man die feinen Unterschiede in der eigenen Muskelanspannung und im Sitz fühlen kann. Wenn man nun aber die Reaktion des Pferdes zurück verfolgt zu den geringen Veränderungen im eigenen Sitz, wird man allmählich entdecken welche Muskeln angespannt und welche nicht angespannt waren als das Pferd gut ging, sowie welche angespannt oder abgespannt waren, als das Pferd schlecht ging. Mit anderen Worten, das Pferd hilft uns unser Körpergefühl zu entwickeln. Es ist ein langsamer, schrittweiser Prozess, der manchmal frustrierend ist, aber er lohnt sich, weil sich unsere kommunikativen Fähigkeiten, sowie die Effektivität unseres Sitzes und unserer Hilfen im Laufe der Zeit exponentiell verbessern.  Machen Sie sich eine Liste von Sitzfaktoren, die Ihr Pferd verbessern und eine Liste mit Faktoren, gegen die Ihr Pferd protestiert. Dann versuchen Sie, alle diejenigen Dinge zu wiederholen, auf die Ihr Pferd positiv reagiert und alle diejenigen Dinge zu vermeiden, die eine negative Reaktion hervorrufen. Auf diese Weise ersetzen Sie nach und nach alte, schlechte Angewohnheiten mit neuen, besseren.

Allerdings liegen nicht alle Ursachen für das sich Verhalten und die Weigerung vorwärts zu gehen im Sitz und den Hilfen des Reiters begründet. Es ist immer empfehlenswert, die Fehlersuche beim Reiter zu beginnen. Aber dann muss man auch das Pferd im Detail anschauen. Es gibt hier mindestens 7 Faktoren, die dazu führen können, dass es sich verhält.

  1. Schmerz
  2. steife, festgehaltene Bauchmuskeln
  3. Muskel Blockaden im Hals oder Genick
  4. zu hohe Aufrichtung
  5. Ungenügende Rumpfspannung
  6. Exterieurprobleme, wie ein langer, schwacher Rücken oder Säbelbeine
  7. mangelnde Abstimmung auf feinere Hilfen

Wenn Sie beide Listen genau untersuchen, werden Sie höchstwahrscheinlich eine oder mehrere potentielle Ursachen für das Verhalten finden.


Die Ursachen, die mit Muskelsteifheiten, Schwäche, Exterieurproblemen und mangelnder Feinabstimmung zusammen hängen, können durch gezielte gymnastische Übungen behandelt werden, die das Gleichgewicht, das Körperbewusstsein, die Geraderichtung, Koordination, Geschmeidigkeit und Kraft des Pferdes verbessern.


Übungen sind eine der drei großen Werkzeugkisten des Reiters bei der Ausbildung des Dressurpferdes. Die anderen beiden sind Sitz und Hilfengebung und die Hufschlagfiguren. Je mehr Werkzeuge man in seiner Werkzeugkiste hat, je mehr verschiedene Übungen und Hufschlagfiguren man kennt, desto weniger leicht bleibt man stecken.


Je besser man versteht, welche Wirkung diese Übungen auf Körper und Geist des Pferdes ausüben, desto besser wird man seine eigenen Übungen entwerfen können, die speziell auf das eigene Pferd und auf das Ziel abgestimmt sind, das man gerade erreichen will.

Sie sehen also, dass die mangelnde Bereitschaft des Pferdes vorwärts zu gehen viele verschiedene Ursachen sowohl im Sitz und den Hilfen des Reiters als auch im Pferd selbst haben kann. Wenn man nicht weiss, wo man nach möglichen Ursachen suchen kann, wird man auch nicht die richtigen Lösungen finden und man wird auch nicht die richtigen Übungen auswählen oder selber basteln können, um das Problem zu lösen.


Um die gewünschten Veränderungen in Ihrem Reiten und Ihrem Pferd herbeiführen zu können und über das bisher erreichte Maß hinauszukommen müssen Sie die eine oder andere Veränderung vornehmen, denn was Sie bis hierher gebracht hat, wird Sie unter Umständen nicht weiterbringen.  Sie müssen die Ursachen der Probleme suchen, mit denen Sie konfrontiert sind. Sobald Sie diese Ursachen identifiziert haben, können Sie Übungen und Trainingsstrategien entwickeln, die die Probleme beseitigen. Und sobald die Ursachen beseitigt sind, werden auch die von ihnen verursachten Symptome verschwinden.