Neugier, Kreativität, Innovation und Rebellion

In letzter Zeit habe ich begonnen, mich für die Zusammenhänge zwischen Neugier, Lernen und Kreativität zu interessieren. Es gibt einen sehr interessanten, kurzen (englischen) Artikel von H.K.Kim: Curiosity, The Key To Creativity And Innovation
(http://www.ideatovalue.com/crea/khkim/2017/06/curiosity-key-creativity-innovation/), der einige der wichtigsten Aspekte dieser Zusammenhänge zusammenfasst. In dieser Newsletter Ausgabe greife ich einige Gedanken dieses Artikels auf.

Neugier, Kreativität und Innovation sind auch für Reitschüler und Reitlehrer ein interessantes Thema. Wir wollen alle reiten lernen. Daher sind wir neugierig. Neugier führt zu Fragen wie: “Wie funktioniert das?”, “Wie muss ich sitzen?”, “Wie reite ich ein Schulterherein?”, “Wie bringe ich dem Pferd die Piaffe bei?”, und viele andere mehr. Auf der Suche nach Antworten auf diese Fragen nehmen wir Unterricht, lesen Bücher und schauen Videos an. In den letzten 30 Jahren hat die Pferdeliteratur extrem stark zugenommen, sodass man zu den meisten Themen viele verschiedene Publikationen zur Auswahl hat. So weit, so gut.

Die Gefahr dabei ist, dass in der Dressur der Glaube eine lange Tradition besitzt, dass es nur EINE einzige richtige Reit- und Ausbildungsmethode gibt. Jeder glaubt natürlich, dass SEINE Methode die einzige RICHTIGE ist und alle anderen damit unrecht haben.

Das hat zwei negative Konsequenzen:

  1. Nimmt man einen quasi-religiösen Standpunkt gegenüber der Reiterei ein, gerät man leicht in die Defensive, weil man sich angegriffen oder abgewertet fühlt, wenn jemand anders reitet. Man gerät dann sehr schnell in die Situation, dass man alle anderen attackiert und herabsetzt.
  2. Man beschränkt die eigene Neugier. Man hört auf, bestimmte Fragen zu stellen und man hört auf nach Antworten zu suchen. Wenn man keine Fragen mehr stellt und keine Antworten mehr sucht, hört man auf zu lernen und man bleibt stecken, sobald die eigene Methode das Problem nicht löst, mit dem man sich gerade konfrontiert sieht.

Das ist auch die Gefahr, die den “Experten” in allen Disziplinen ganz allgemein droht. Experten fühlen sich oft so sicher in ihrem Wissen, dass sie die Möglichkeit nicht in Betracht ziehen, dass es noch weitere Schichten der Komplexität geben könnte, oder dass es bessere Alternativen gibt.

“Wenn Dein Kopf frei ist, ist er für alles bereit. Im Kopf des Anfängers gibt es viele Möglichkeiten. Im Kopf des Experten gibt es nur wenige.”
D.T.Suzuki, 1970

 

Dieses Problem wird wahrscheinlich noch verschärft durch das Zeitalter des Smartphones und von Google, da man auf einen Knopfdruck sofortige Gratifikation durch schnelle, einfache Antworten finden kann, anstatt Zeit und Mühe aufwenden zu müssen, um sie selbst zu suchen. Das kann dazu führen, dass wir uns zu sehr auf Computer verlassen und nicht genug auf unser eigenes Denkvermögen. Und wenn wir glauben, dass wir DIE Antwort gefunden haben, hören wir auf zu denken und zu forschen.

Neugier ist also die Voraussetzung für Lernen. Aus Neugier Fragen zu stellen ist die Voraussetzung für Kreativität und Innovation. Als kleine linguistische Nebenbemerkung ist es interessant, dass das englische Wort “question” sowohl ein Substantiv als auch ein Verb sein kann. Als Substantiv bezieht es sich auf eine Bitte um Information. Als Verb stellt es eine Behauptung, eine Aussage oder einen Status quo in Frage. Es beinhaltet auch das Substantiv “quest” = eine Suche, die oft eine noble oder heroische Konnotation besitzt.


Da Kreativität und Innovation zu Veränderungen führen können, bedrohen sie den Status quo und existierende Strukturen (inklusive Machtstrukturen). Aus diesem Grunde werden sie oft unterdrückt.


In der traditionellen Reitkultur war es beispielsweise früher den Schülern äußerst verboten, den Lehrer in Frage zu stellen oder mit ihm diskutieren zu wollen. Es wurde vom guten Schüler erwartet, dass er streng in den Fußstapfen seiner Lehrer folgte, ohne einen Zentimeter von deren Pfad abzuweichen. Dadurch wird der Status quo bewahrt, aber es tötet die Neugier und verweist die Schüler in ihre Schranken. Es hält sie klein. Es verhindert auch Fortschritte, Innovationen und die Weiterentwicklung der Reiterei. Von diesem Standpunkt aus gesehen sind Neugier, Kreativität und Innovationen beinahe ein Akt der Rebellion gegen die bestehenden Strukturen.
 
 
“Wir müssen unserer Fantasie die Freiheit lassen, bescheiden und offen zu forschen. Wir brauchen dazu das, was man in Zen als Anfängerhaltung bezeichnet. Alle großen Entdecker besitzen diese kindliche Bescheidenheit und Offenheit. Isaac Newton schrieb, “Ich weiss nicht, wie ich der Welt erscheine. Aber ich selbst fühle mich nur wie ein Junge, der am Strand spielt und sich die Zeit damit vertreibt, hier und da einen glatteren Stein oder eine hübschere Muschel als gewöhnlich zu finden, während das große Meer der Wahrheit noch völlig unentdeckt vor mir lag." Einstein sagte, “Je mehr ich lerne, desto mehr verstehe ich, dass ich nichts weiss.”
L.G.Boldt (1993).

 

Leider neigt unsere Kultur dazu, die Neugier und die Kreativität in der Schule wie in der Reitbahn zu töten. Das ist einer der Gründe, warum so viele Kinder die Schule nicht mögen oder in der Schule nicht aufblühen und warum so viele Reiter mit ihrer Reiterei und dem Reitunterricht, den sie bekommen, frustriert sind.

Ich möchte daher alle dazu ermutigen, ihre Neugier zu kultivieren und sich von ihrer Neugierleiten zu lassen.

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  • Suchen Sie nach Informationen zu Themen, die Sie interessieren.
  • Studieren Sie die Informationen, die Sie im Unterricht, in Büchern oder in Videos finden.
  • Testen Sie diese Informationen. Wenden Sie sie in der Praxis an und finden Sie heraus, ob sie bei Ihnen und Ihrem Pferd funktionieren.
  • Gehen Sie jedes Thema, das Sie erforschen, unvoreingenommen an. Vielleicht gehen Sie in jede Trainingseinheit mit einer bestimmten Fragestellung, die Sie erkunden wollen.Suchen Sie nach Alternativen. Wenn eine Methode, die Sie gelernt haben, nicht zu funktionieren scheint, suchen Sie nach etwas anderem, das funktioniert.
  • Aber selbst wenn das, was Sie tun, funktioniert, suchen Sie nach weiteren Möglichkeiten, die noch effektiver sind.
  • Wenn ich eine Lösung zu einem Problem finde, dann bin ich nicht damit zufrieden, sie einfach immer wieder zu wiederholen, sondern ich versuche weitere mögliche Lösungsansätze zu finden, da die Effektivität einer Übung im Laufe der Zeit nachlässt, sodass man neuen Alternativen suchen muss. Versuchen Sie, mindestens drei mögliche Lösungsansätze für jedes Problem zu finden.
  • Seien Sie neugierig. Seien Sie kreativ. Seien Sie innovativ und wenn nötig, werden Sie zum Rebellen.