3 Wege zur Piaffe

Einleitung
 

Die Piaffe ist eine der ästhetischsten Lektionen. Sie ist auch eine der gymnastisch wertvollstenLektionen und sie ist gewissermaßen das Eingangstor zur Hohen Schule, ähnlich wie das Schulterherein das Eingangstor zur Kampagneschule darstellt.


Für den ambitionierten Ausbilder ist die Piaffe gefühlt eine Art Bestätigung, dass man jetzt in die höchste Klasse aufgestiegen ist, ähnlich wie der fliegende Wechsel als Bestätigung empfunden wird, dass man aus der Grundschule in die Kampagneschule aufgestiegen ist.


Gleichzeitig sieht man jedoch nicht oft gute Piaffen, da deren Ausbildung nicht so trivial ist. Mir kommt die Piaffe oft wie eine zarte Blume vor, die leicht durch zu hohe Intensität der Hilfen, zu viel Reiteraktivität oder zu viel Krafteinsatz zerstört werden kann.


Shana und ich haben in unserem Buch über die Langzügelarbeit der Piaffeausbildung ein ganzes Kapitel gewidmet (https://www.amazon.de/Die-Arbeit-Langen-Z-gel-Anfang/dp/3840410517/ ), allerdings mit dem Hauptaugenmerk auf der Handarbeit und Langzügelarbeit, nicht auf dem Reiten.


Die meisten Pferde finden es leichter, die Piaffe erst ohne das Reitergewicht an der Hand zu lernen, da sie dann nur ihren eigenen Körper zu balancieren brauchen.


Hier möchte ich Ihnen nun eine systematische Übersicht über die wichtigsten Methoden geben, die sich in meiner Erfahrung beim Anpiaffieren bewährt haben.

 

Ziel

Wir wollen das Pferd auf eine Entdeckungsreise zu der Erkenntnis führen, dass diagonale Tritte effizienter sein können als der Schritt oder das Anhalten. Wenn das Pferd entdeckt, dass halbe Tritte oder Piaffetritte weniger anstrengen als der Schritt oder das Halten, wird es gerne piaffieren und auch dabei ruhig bleiben.


Wir verwenden dazu das Prinzip der Bewegungsökonomie: Das Pferd wird immer versuchen, die Art der Bewegung zu finden, die unter den gegebenen Umständen die geringste Anstrengung kostet.


Jedes Pferd ist etwas anders. Nicht jede Übung wird bei jedem Pferd funktionieren. Die meisten haben eine bestimmte Art der Übung, die ihnen einleuchtet und die sie auf die richtige Idee bringt. Manche finden es allerdings sehr schwierig, die Tritte zu diagonalisieren. Sie piaffieren dann im Vierschlag oder in passartigen Tritten. Sie brauchen oft die kumulative Wirkung aller möglichen Varianten über einen längeren Zeitraum hinweg, bevor sie den richtigen “Gang” finden.

 

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3 Wege zur Piaffe

 

Ich habe festgestellt, dass die verschiedenen Herangehensweisen beim Anpiaffieren in drei grundlegende Kategorien eingeteilt werden kann:

  1. Übergänge
  2. Seitengänge im Schritt
  3. Seitliche Schaukelbewegungen
 

Legend

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Weg 1: Übergänge

Anhalten in alle 4 Beine

Erste Phase: Ganze Parade aus dem Schritt in alle 4 Beine (AV, AH, IV, IH) durch Bügeltritte und halbe Paraden am gleichseitigen Zügel wenn das angesprochene Bein aufgefusst hat.

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Zweite Phase: Tempo im Schritt in alle 4 Beine verlangsamen (AV, AH, IV, IH) durch Bügeltritte und halbe Paraden am gleichseitigen Zügel wenn das angesprochene Bein aufgefusst hat.
Sprechen Sie jedes Bein zweimal hinter einander an und aktivieren Sie anschließend das Pferd mitder Wade oder einer schnellen, leichten Vibration mit der Gerte.
Dadurch wird die Bewegungsenergie aus der Horizontalen in die Vertikale umgelenkt, d.h. die Tritte werden kürzer und höher.
Ab einem bestimmten Zeitpunkt kosten diagonale Tritte weniger Kraft als                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     der Vierschlag des Schrittes. Beobachten Sie, von welchem Bein Sie die besten Tritte bekommen. Sehr oft ist es ein Vorderbein. Der Grund dafür liegt darin, dass das Tempo (Tritte pro Minute) der Piaffe schneller ist als das Schritt Tempo.
Eine Möglichkeit, wie man ein bestimmtes Bein beschleunigen kann, besteht darin, es durch das Gewicht zu entlasten. Wenn man umgekehrt ein bestimmtes Bein durch das Gewicht mehr belastet, wird es sich eher langsamer bewegen. Wenn Sie also das Gewicht auf die Vorhand verlagern, können die Hinterbeine schneller abfußen, wodurch die Diagonalisierung leichter zustande kommt und das Pferd sich leichter in die Piaffe hinein findet. Sobald das Pferd in der Piaffe drin ist, kann man das Gewicht wieder zurück auf die Hinterbeine verlagern - vorausgesetzt, sie sind kräftig genug, um das Gewicht in der Piaffe zu unterstützen.

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Stop - and - go

Man hält geschlossen neben der Bande. Dann lässt man das Pferd das innere Hinterbein heben und eine Hufbreite vorrücken, sodass alle vier Beine sich einmal bewegen und hält wieder geschlossen an. Das verändert ebenfalls die Bewegungsmechanik von langen, flachen zu kürzeren, höheren Bewegungen. Gehen Sie zu Beginn langsam vor. Erlauben Sie dem Pferd nicht, rückwärts oder seitwärts auszuweichen. Sobald dies leicht gelingt, lässt man das innere Hinterbein sofort wieder hochheben, sobald es aufgefusst hat. Auch hieraus entstehen nach und nach diagonale Tritte.

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Halten - Schritt - Halten

Diese Übung ist der vorherigen sehr ähnlich. In der Stop-and-go Übung lag der Schwerpunkt auf der Mobilisierung der Hinterbeine im Halten. Hier liegt das Hauptaugenmerk darauf, ganz kurz aus dem Schritt anzuhalten und wieder anzureiten. In der vorigen Übung verbringt das Pferd mehr Zeit im Halten, während es hier mehr Zeit im Schritt verbringt.
Versuchen Sie, wieder anzureiten, bevor alle vier Beine zum Stillstand kommen. Sind die Übergänge zackig genug und eng mit einander verzahnt, werden viele Pferde ihre Tritte diagonalisieren.

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Trab - Halten - Trab

Diese Übung basiert auf demselben Prinzip wie die letzte, aber anstatt Schritt-Halten-Schritt Übergänge zu reiten, wechselt man hier zwischen Trab und Halten oder Trab und Schritt. Man kann die Übung noch spezifischer und effektiver gestalten, indem man die Paraden ins äußere Hinterbein reitet und das innere Hinterbein beim wieder Anreiten treibt.


Das bedeutet, dass man die halbe Parade (z.B. mit äußerem Zügel + äußerem Steigbügel) erteilt, wenn das äußere Hinterbein aufgefusst hat. Das innere Hinterbein ist in diesem Moment in der Luft. Die Parade beugt das äußere Hinterbein, wodurch das innere Hinterbein die Freiheit bekommt,   sich schneller und leichter vom Boden zu lösen, was man wiederum mit dem inneren Schenkel akzentuieren kann. Die Kombination von größerer Hankenbeugung des aufgefußten Hinterbeins und größerer Aktivität des vorschwingenden Hinterbeins führt zur Diagonalisierung.

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Rückwärtsrichten - vorwärts

Das Rückwärtsrichten ist ein nützliches Werkzeug beim Anpiaffieren, da es eine diagonale Bewegung ist und die Gelenke der Hinterhand mehr beugt. Es ist wichtig, dass das Pferd in kleinen, langsamen Tritten zurücktritt, nicht in langen, schnellen. Der Oberkörper des Pferdes sollte sich über die Hinterbeine hinweg rückwärts bewegen, bevor sich diese nach hinten in Bewegung setzen.  Wenn die Hinterbeine stattdessen anfangen rückwärts zu gehen, bevor der Oberkörper des Pferdes sich rückwärts bewegt, dann laufen sie sozusagen vor dem Gewicht davon, anstatt es vermehrt zu stützen. Je mehr die Gelenke der Hinterbeine sich im Rückwärtsrichten beugen, desto erleichterter wird das Pferd sein, wenn es wieder vorwärts gehen darf.


Schnelle Richtungswechsel zwischen zwei Tritten Rückwärtsrichten und ein paar flotten Tritten vorwärts können zu halben Tritten oder Piaffetritten führen.

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Weg 2: Seitengänge im Schritt

Schulterherein an der langen Seite

Im Schulterherein im Schritt ist es leicht, das äußere Hinterbein zu verlangsamen und das innere Hinterbein zu beschleunigen. Das äußere Hinterbein besitzt mehr tragende Funktion im Schulterherein. Verlagert man sein Gewicht auf das äußere Hinterbein und verlangsamt es mit dem Gewicht und dem äußeren Steigbügel und Zügel, kann man das innere Hinterbein mit dem inneren Schenkel oder einer schnellen Vibration der Gerte beschleunigen. Viele Pferde bieten in dieser Situation recht schnell diagonale Tritte an, weil sie weniger anstrengen als der Vierschlag des Schritts.

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Schulterherein auf der Volte

Die Effektivität erhöht sich, wenn man das Schulterherein auf einer gebogenen Linie reitet, wie einer Volte oder einem Zirkel, da sich die Hinterbeine dort auf einem größeren Kreisbogen bewegen als die Vorderbeine und folglich eine größere Distanz zurück legen müssen.


Aktiviert man das innere Hinterbein, wenn das äußere Vorderbein abhebt, kann man die Hauptdiagonale mit einander synchronisieren. Der Sitz und die halben Paraden halten das äußere Hinterbein länger am Boden fest und der innere Schenkel läßt das innere Hinterbein früher abfußen, sodass der Vierschlag des Schritts sich zum Zweitaktrhythmus der Piaffe verändert.

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Renvers an der langen Seite

Das Prinzip hinter dieser Übung ist dasselbe wie bei der letzten Übung. Hier ist es das innere Hinterbein, das den größeren Gewichtsanteil stützen muss, während das äußere Hinterbein übertritt. Je tiefer sich das innere Hinterbein beugt, umso freier kann sich das äußere Hinterbein bewegen.

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Renvers auf der Volte oder dem Zirkel

Das Prinzip hinter dieser Übung ist dasselbe wie bei der letzten Übung. Hier ist es das innere Hinterbein, das den größeren Gewichtsanteil stützen muss, während das äußere Hinterbein übertritt. Je tiefer sich das innere Hinterbein beugt, umso freier kann sich das äußere Hinterbein bewegen.


Reitet man den Renvers auf einer Volte oder einem Zirkel wird die Übung noch effektiver. Eine besonders wirksame Übung ist eine Kombination von Schulterherein, um das innere Hinterbein mehr unter den Körper zu bringen, gefolgt von einer 180 Grad Kurzkehrtwendung oder Passade, um das innere Hinterbein durch das Gewicht zu belasten und zum Abschluss einem Renvers auf der neuen Hand. Viele Pferde bieten Piaffetritte an, wenn man im Renvers das innere Hinterbein beugt, während man das äußere Hinterbein aktiviert.

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Kruppeherein auf einer kleinen Volte

Pferde, die einen sehr hohen natürlichen Muskeltonus besitzen und sehr stark mit der Hinterhand schieben, reagieren manchmal positiv auf ein Kruppeherein im Schritt auf einer kleinen Volte. Wenn man das innere Hinterbein durch das Gewicht verlangsamt, während man das äußere Hinterbein aktiviert, bieten manche Pferde diagonale Tritte an.


Der kleine Kreisbogen in Kombination mit der Kruppeherein Stellung kanalisiert die Bewegungsenergie in eine senkrechte Richtung und Pferde mit hoher natürlicher Muskelspannung und viel Energie ändern ihre Fußfolge von einem Vierschlag zu einem diagonalen Zweitakt, weil dieser ökonomischer ist.


Pferde mit geringer Muskelspannung, die nicht genug schieben, werden durch diese Übung dagegen eher verspannt werden und den Takt verlieren. Bei ihnen werden andere Übungen besser geeignet sein.

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Die kleine Volte im Kruppeherein kann man gut durch ein Zirkel verkleinern entwickeln.

Beim Zirkel verkleinern kann man das Pferd mit der Gewichtshilfe nach innen nehmen: 1 Pferdebreite pro Viertelzirkel. Der innere Schenkel schickt das Pferd vorwärts, sodass der Winkel der Abstellung nicht zu steil wird. Der äußere Zügel wendet die Schulter. Die Kruppe wird mit dem Sitz und dem äußeren Schenkel leicht nach innen gebracht.

 

Weg 3: Seitliche Hin und her Bewegungen

90 Grad Vorhandwendung in der Bewegung links und rechts (Pilarenarbeit)

Diese Übung kommt von der Pilarenarbeit. Man fängt mit 90 Grad Vorhandwendungen in beide Richtungen, die jeweils in 3 Tritten ausgeführt werden sollen. Das Pferd ist gegen die Bewegungsrichtung gestellt und gebogen und das innere Hinterbein kreuzt vor dem äußeren. Der erste Tritt ist relativ groß, der zweite etwas kleiner und im dritten Tritt wird der innere Hinterfuss nur neben den äußeren gesetzt.


Anfangs erlaubt man dem Pferd langsame Tritte zu machen, sodass es darüber nachdenken kann, wo seine Füße sind und wo sie als nächstes hin müssen. Nach den 3 seitlichen Tritten hält man an, verlagert das Gewicht in die neue Richtung und wenn das Pferd bereit ist, bittet man es, 3 Tritte in die andere Richtung zu machen. Wiederholen Sie die Übung einige Male. Bevor es dem Pferd zu viel wird, reiten Sie vorwärts und wechseln Sie das Thema.


Sobald das Pferd ruhig und bequem übertreten kann, lässt man das Anhalten wegfallen, sodass dasman nahtlos link - 2 - 3 - rechts - 2- 3 übertritt. Je gleichmäßiger das Tempo wird, desto besser wird sich das Pferd lösen und ausbalancieren. In diesem Ausbildungsabschnitt entstehen oft die ersten diagonalen Tritte im Moment des Richtungswechsels. Fangen Sie mit einigen wenigen Tempi rechts und links an und steigern Sie langsam die Anzahl, wenn das Pferd kräftiger und geschmeidiger wird.


Wenn das Pferd sich in dieser letzten Phase der Übung loslässt, kann man die seitliche Distanz verringern, die das Pferd im Übertreten zurücklegt und man kann allmählich das Tempo beschleunigen, sodass die diagonalen Tritte immer mehr zu Piaffetritten werden. Diese Übung erfordert viel seitliche und vertikale Beweglichkeit der Hinterhand. Daher muss man mit geringen Anforderungen anfangen und dem Pferd erlauben, sich damit “anzufreunden” bevor man die Intensität erhöht.

 

Ganzer Travers links und rechts

Das Pilarenprinzip kann auch auf den ganzen Travers angewendet werden. Man kann z.B. an der langen Seite anhalten und das Pferd 2-3 Tritte im ganzen Travers seitlich von der Wand abrücken lassen. Dazu kann man das Pferd gegen die Bewegungsrichtung biegen (der Name “ganzer Travers” ist etwas irreführend). Dann hält man kurz an, verlagert das Gewicht in die andere Richtung und wechselt die Biegung. Anschließend lässt man das Pferd seitlich zur Wand hin übertreten.

 

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Man kann entweder immer in denselben Fußspuren hin und her treten lassen, oder man macht 2 Tritte ganzen Travers nach innen, 2 kurze Tritte parallel zur langen Seite nach vorne, 2 Tritte ganzen Travers nach außen, 2 kurze Tritte parallel zur langen Seite nach vorne, usw.


Sobald das Pferd in der Lage ist, entspannt hin und her zu treten, läßt man das Anhalten beim Richtungswechsel weg. Sobald das in einem langsamen Tempo leicht gelingt, beschleunigt man die Tritte allmählich. Wenn das Pferd sich in einem gleichmäßigen Tempo in kleinen Tritten bewegt und sich anfühlt wie ein Traktor im kleinen Gang, stehen die Chancen gut, dass es seine Tritte diagonalisiert.

 

Hinterhandwendung/Passade links und rechts

Dies ist die Konterübung zur Pilarenübung. Anstelle der Vorhandwendung reitet man hier Hinterhandwendungen oder Passaden links und rechts. Die Strategie bleibt die gleiche: 3 Tritte Passade in eine Richtung, anhalten, warten, bis das Pferd sich wieder ausbalanciert hat, 3 Tritte Passade in die andere Richtung, anhalten, usw.


In der nächsten Phase der Übung läßt man das Pferd hin und her treten ohne anzuhalten.
Sobald dies leicht gelingt, kann man das Tempo beschleunigen und die seitliche Distanz reduzieren.

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