Über den Rücken

“Über den Rücken” ist so ein Begriff, der von vielen Leuten unterschiedlich aufgefasst wird. Ich habe oft den Eindruck, dass viele Reiter nur darunter verstehen, dass der Pferdekopf unten ist und der Hals rund. Aber in Wahrheit steckt viel mehr dahinter.

Das Problem

Wenn das Pferd nicht “über den Rücken” geht, ist sein Rücken festgehalten und steif. Der Brustkorb ist dann meist schmal anstatt ausgedehnt und der Rücken ist nach unten weggedrückt anstatt angehoben. Die Gänge sind dann unbequem zu sitzen. Es gibt keine wellenartige schwingende Bewegung, sondern es fühlt sich eher wie ein Presslufthammer an. Wenn das Pferd nicht über den Rücken geht, ist es gleichzeitig entweder über dem Zügel oder der Hals ist verkürzt und eventuell eingerollt.

Pferde sind durchaus in der Lage, den Kopf tief zu stellen und den Hals rund zu machen, jedoch ohne eine Verbindung von hinten nach vorne zu den Zügeln zu suchen. Es fühlt sich dann so an, als ob man nichts in den Händen hätte, weil der Rücken die Impulse der Hinterhand nicht nach vorne überträgt.

Das Ziel

Wenn das Pferd über den Rücken geht, bedeutet das für mich, dass der Rücken und der Widerrist angehoben sind und der Brustkorb sich ausdehnt, sodass sie meinen Sitz und meine Beine ausfüllen. Ich spüre die Energie, die von den Hinterbeinen durch den Rücken und die Oberlinie zum Gebiss und wieder zurück fließt. Es ist wie Wasser oder Strom, der von den Hinterbeinen ausgehend an der Wirbelsäule entlang zu den Händen fließt und von dort wieder zu den Hinterbeinen zurückkehrt. Schließt man die Finger um die Zügel, kann man Impulse in alle vier Beine aussenden. Es gibt eine Verbindung von hinten nach vorne, von vorne nach hinten, von links nach rechts und von rechts nach links. Die Energie soll jeden Winkel des Pferdekörpers erreichen können, ohne irgendeinen Teil auszulassen und ohne irgendwo zu entweichen. Es gibt auch eine Verbindung von oben nach unten, von meinem Körper, meinem Gewicht, durch die Pferdebeine in den Boden. Die Bewegung des Pferderückens fühlt sich an wie eine Schwingung oder eine Welle, die man reitet.

Hat man diese Bewegung einmal gefühlt, wird man sie nie wieder vergessen, da sie einen nachhaltigen Eindruck hinterlässt. Wenn das Hinterbein im Trab den Pferdekörper in die Schwebephase schiebt und hebt, bewegen sich sein Becken, Rücken und Widerrist nach vorne-oben, wodurch das Gefühl einer Welle entsteht, die die Reiterin mit hochhebt. Bei der Landung nach der Schwebephase senkt sich der Pferdekörper und die Reiterin schwingt gemeinsam mit dem Pferderücken nach unten. Wenn Sie das nächste Mal reiten, versuchen Sie einmal die auf und ab Schwingung des Pferderückens zu spüren und versuchen Sie, diese bewusst mitzumachen, sodass Sie mit dieser Bewegung synchronisiert sind.

Diese schwingende Verbindung ist leider nicht immer automatisch gegeben, sondern muss ermöglicht werden, indem man Blockaden beseitigt und Lecks in der Energieübertragung stopft, sodass ein Energiekreislauf hergestellt werden kann und der Rücken in der Lage ist, sich in alle Richtungen frei zu bewegen. Hat man dies einmal erreicht, ist es leider nicht auf Lebenszeit garantiert. Verliert das Pferd beispielsweise seine Balance, wird es seine Beine gegen den Boden und den Rücken gegen die Reiterin stemmen. Die geschmeidige, schwingende Rückenbewegung verschwindet dann sofort. Oder wenn das Pferd sich erschreckt, wird es seinen Hals verspannen und den Rücken festhalten. Je besser ein Pferd ausgebildet ist und je weiter es fortgeschritten ist, desto beständiger wird diese Verbindung über den Rücken werden.

Wie erreicht man dies?

Die Biomechanik des Pferdes

Das Anheben des Widerrists ist das Resultat des Untertretens und der Beugung der Hinterbeine, sowie des gleichzeitigen Engagements der Bauchmuskulatur.

Der erste Schritt besteht darin, das innere Hinterbein mehr unter die Last zu bringen. Zirkel Vergrößern, Schultervor oder Schulterherein sind dafür beispielsweise hervorragend geeignet.

Der nächste Schritt besteht in der Beugung dieses Hinterbeins, indem man z.B. eine Ecke, Volte oder auch eine Hinterhandwendung reitet. Halbe Paraden und Übergänge in niedrigere Gangarten sind ebenfalls effektiv.

Auf die Beugung des Hinterbeins und das Stützen der Last folgt die Streckung seiner Gelenke, um den Körper vorwärts zu schieben. Befindet sich das aufgefußte Hinterbein hinter dem Körper, kann es ihn nur nach vorne auf die Vorhand schieben, aber es kann ihn nicht hochheben. Und obendrein führt es dazu, dass der Rücken durchfällt. Fußt das Hinterbein dagegen nahe genug am Schwerpunkt auf, kann es den Körper so hochheben, dass Rücken und Widerrist ebenfalls mit angehoben werden.

Der Sitz der Reiterin

Damit das Pferd in der Lage ist, seinen Rücken und Widerrist anzuheben, muss die Reiterin unter Umständen mit ihrem Sitz ein wenig Platz machen. Ist der Sitz statisch, wird er aufgrund der Schwerkraft den Pferderücken nach unten gegen den Boden drücken, wodurch dem Pferd das Anheben des Rückens schwerer gemacht wird als nötig. Pferde mit schwachem Rücken schaffen es unter diesen Umständen eventuell gar nicht den Rücken aufzuwölben.

Die Reiterin kann dem Pferd die Arbeit erleichtern, indem sie die Aufwärtsbewegung des Pferderückens semi-aktiv mit ihrem Sitz unterstützt. Der Grund hierfür liegt darin, dass die Kontraktion der Bauchmuskeln des Pferdes nicht nur das Hinterbein vorzieht, sondern gleichzeitig auch den Rücken anhebt. Wenn wir also das Hinterbein auffordern weiter unterzutreten, dann müssen wir auch dem Rücken erlauben, sich mehr aufzuwölben. Andernfalls stößt der Pferderücken gegen unser Gesäß wie gegen eine Decke und muss wieder absinken, wodurch die Trittlänge des Hinterbeins verkürzt wird.

Beobachtet man Pferde in der Bewegung, kann man sehen, dass bei zu hoch aufgerichtetem Hals und weggedrücktem Rücken die Hinterhand meistens zu kurz tritt. Das ist ähnlich wie mit der Henne und dem Ei. Tritt das Hinterbein kurz, wird der Rücken unter dem Reitergewicht einbrechen und der Hals wird sich zu hoch aufrichten, wobei die Oberlinie sich verkürzt. Und umgekehrt: sitzt die Reiterin zu schwer auf einem schwachen Rücken und/oder richtet sie den Hals mit der Hand zu hoch auf, kollabiert der Rücken unter ihr und die Hinterbeine werden am Untertreten gehindert.

Nur wenn der Rücken und der Widerrist angehoben sind und die Oberlinie gedehnt ist, können die Hinterbeine optimal untertreten (und umgekehrt).

So beeinflusst man den Gang

Im ausgesessenen Trab kann man unter dem Gesäß etwas Platz schaffen, indem man ein wenig höher schwingt als gewöhnlich, aber nicht so hoch wie im Leichttraben. Dazu muss man sich eventuell für ein oder zwei Tritte mehr mit den Innenseiten der Knie abstützen und den Schwung des Pferderückens ausnutzen, um ein kleines Luftpolster unter dem Gesäß zu erzeugen. Besitzt das Pferd genügend Schwung, wird es seinen Rücken mehr aufwölben und mit dem Sitz in Kontakt bleiben. Das Hinterbein wird ebenfalls mehr untertreten. Verliert das Gesäß die Tuchfühlung mit dem Sattel, kann man mit dem inneren Schenkel treiben oder das Pferd mit der Gerte in der inneren Hand berühren, wenn das innere Hinterbein abfußt, damit es mehr untertritt und den Rücken und den Widerrist mehr anhebt. Wenn es funktioniert, hat man das Gefühl, dass man nach oben schwingt, ohne den Sattel zu verlassen, da der Sattel vom Pferderücken mit angehoben wird.

Daraus kann man ein Spiel machen. Wie weit kann ich mein Becken anheben, ohne den Kontakt mit dem Pferderücken und dem Sattel zu verlieren? Kann ich das Pferd dazu bringen, seinen Rücken mehr aufzuwölben, indem ich Platz mache und treibe? Probieren Sie es aus. Wie hoch kann ich schwingen? Wie hoch muss ich schwingen? Muss ich treiben oder nicht? Wenn man ganz konsequent bei jeder treibenden Hilfe immer mit dem Sitz ein wenig Platz macht, wird das Pferd bald den Zusammenhang erkennen und auf ein leichter Werden des Sitzes reagieren, indem es mit den Hinterbeinen mehr untertritt und sich mehr anstrengt. Dann bekommt man die Wirkung einer treibenden Hilfe, aber ohne zu treiben, nur indem man Platz macht.

Man kann dies mit einfachen Hufschlagfiguren erkunden, wie einem großen Zirkel oder auf der ganzen Bahn, oder sogar bei einem Ausritt ins Gelände. Sobald man ein Gespür dafür bekommt, kann man es auch in den Seitengängen anwenden. Je nachdem, ob man die Aufwärtsbewegung betont, wenn sich das innere oder das äußere Hinterbein in der Luft befindet, kann man den Raumgriff eines bestimmten Beines vergrößern. In den Seitengängen bedeutet das, dass man entweder die Seitwärtsbewegung oder die Vorwärtsbewegung der Lektion betonen kann.

Was aufsteigt, muss auch wieder herunterkommen. Nachdem man unter dem Gesäß einen Freiraum geschaffen hat, um das Pferd zu ermutigen, mit einem Hinterbein mehr unter die Last zu treten, könnte man für ein oder zwei Tritte die Abwärtsbewegung mit dem Sitz betonen, um die Gelenke dieses Hinterbeins mehr zu beugen.

Dasselbe Prinzip gilt auch für den Galopp. Man kann den Galoppsprung größer und runder gestalten, indem man die Aufwärtsbewegung des eigenen Beckens ab und zu betont, wenn sich das äußere Hinterbein am Boden befindet und die Vorhand sich erhebt. Ich würde es nicht bei jedem Sprung wiederholen, weil es sonst zu hektisch wird. Aber man kann es zwei Galoppsprünge hintereinander anwenden, dann ein paar Sprünge passiv bleiben und es bei Bedarf wiederholen. Eventuell muss man hier und da ein wenig treiben, um einen größeren Galoppsprung zu erzeugen.

Zusammenfassung

Die schwingende Bewegung und die Energieverbindung zwischen Hinterhand und Vorhand eines korrekt über den Rücken gehenden Pferdes erzeugen ein Gefühl, das man nie vergisst. Wählen Sie Übungen und Hufschlagfiguren, die das Pferd veranlassen, unter die Last zu treten und die Hinterbeine zu beugen. Denken Sie daran, Ihren Sitz dynamisch einzusetzen, sodass er die Bewegung des Pferdes unterstützt, damit es seinen Rücken aufwölben, untertreten und seine Hinterbeine beugen und wieder vorwärts-aufwärts abschieben kann.