Was ist Versammlung?

Einleitung

Ich habe kürzlich angefangen, das Prinzip der Versammlung für mich neu zu überdenken.  Was ist Versammlung? Wie funktioniert sie? Sie kennen wahrscheinlich alle die traditionelle Beschreibung, bzw. Definition, dass in der Versammlung eine Lastverschiebung von den Vorderbeinen auf die Hinterbeine stattfindet, wobei die Tritte kürzer werden, die Hinterbeine sich beugen und die Vorhand sich aufrichtet, was nicht nur zu einer höheren Kopf- und Halshaltung führt, sondern auch zu einer höheren Aktion der Vorderbeine und größerer Schulterfreiheit. Aber ist das wirklich der Fall? Ist das alles, oder gibt es eine andere Beschreibung, die das Wesen der Versammlung besser trifft? Ist diese Definition eventuell zu statisch oder zu unflexibel?

Mir hilft es immer, wenn ich ab und zu Wissensinhalte, die eigentlich ein “alter Hut” sind, neu überdenke und von verschiedenen Blickwinkeln betrachte, das alte theoretische Wissen mit meiner Erfahrung und meinem aktuellen Verständnis vergleiche, die gewachsen sind, seit ich den Begriff das erste Mal gelernt habe. Manchmal führt das zu einer Veränderung in meinem Denken und zu einer anderen Analyse. Manchmal bestätigt es aber auch nur meine alten Überzeugungen, was auch in Ordnung ist, falls das alte Verständnis der neuen Evidenz standhält. Falls jedoch die neue Evidenz, sprich: neue Beobachtungen und Erfahrungen, die alten Überzeugungen widerlegen, dann ist es an der Zeit, die Theorie zu überarbeiten, sodass sie zur Evidenz passt.

Wenn wir ein Konzept wie die Versammlung das erste Mal kennenlernen, befinden wir uns meist noch ganz am Anfang unserer Ausbildung. Wir haben sie noch nicht selbst erlebt und wir können sie noch nicht produzieren. Sind jedoch unser praktisches Können und unsere Erfahrung begrenzt, wird auch unser Verständnis begrenzt sein. In dem Maße, wie unsere Erfahrung und unser praktisches Können wachsen, wird auch unser Verständnis wachsen. Deshalb ist es von Zeit zu Zeit notwendig sich zu fragen, ob alles noch genau so ist, wie in unserer Anfängerzeit und ob Regeln, die wir als Anfänger auswendig gelernt hatten, nach wie vor gültig sind, nachdem wir viele Stunden im Sattel verbracht haben.

Aus irgendeinem Grunde ist mir kürzlich ein Artikel aus den 90er Jahren wieder eingefallen, in dem untersucht wurde, ob in der Versammlung wirklich eine Gewichtsverlagerung auf die Hinterbeine stattfindet. Das Forschungsprojekt war auf eine relativ kleine Zahl (um die 30, wenn ich mich recht  entsinne) von internationalen Turnierpferden begrenzt, d.h. ausschließlich Warmblüter, die alle mehr oder weniger gleich ausgebildet waren. Die Auswahl ist etwas einseitig, was vorhersehbar zu einem ziemlich einheitlichen Ergebnis führt. Wenn eine Gruppe von Pferden desselben Typs mit demselben (oder zumindest einem sehr ähnlichen) Ausbildungssystem trainiert werden, dann werden auch die Ausbildungsergebnisse und die vorgenommenen Messungen sehr ähnlich ausfallen. Die Forschungsergebnisse sind also gültig für diese spezielle Auswahl an Pferden. Bedeutet das jedoch, dass sie gleichermaßen für Pferde aller Typen und Ausbildungsmethoden gelten? Nicht wirklich. Es ist gefährlich, aus einem so kleinen und so spezifischen Kreis von Testsubjekten weitreichende verallgemeinernde Schlussfolgerungen zu ziehen. Ich würde sehr gerne  eine Studie sehen, in der Pferde der vier klassischen Schulen (Wien, Saumur, Jerez und Lissabon) mit einbezogen werden. Das würde eine breitere Perspektive ergeben, mit weiteren Pferderassen und anderen Ausbildungstraditionen. Es kann zwar sein, dass die Ergebnisse dieselben bleiben. Es kann aber auch sein, dass etwas anderes dabei herauskommt.

Das führte dazu, mein eigenes aktuelles Verständnis der Versammlung unter die Lupe zu nehmen. Als Anfänger hatte ich die oben erwähnte Definition der Versammlung gelernt. Ich hänge jedoch nicht unbedingt an ihr. Ich habe kein Problem damit, sie zu ändern, wenn es Evidenz gibt, die zeigt, dass die alte Definition falsch oder unvollständig ist. 

WHDAMG (Was haben die alten Meister gesagt)?

Jede wissenschaftliche Studie (zumindest in den Geisteswissenschaften) beginnt mit einer Untersuchung der relevanten Sekundärliteratur mit dem Ziel, den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Diskussion zu ermitteln, bevor man seine eigene Forschung und Analyse durchführt. Wollte ich absolut wissenschaftlich vorgehen, müsste ich jeden einzelnen Autor studieren, der etwas zum Thema veröffentlicht hat. Deshalb brauchen Dissertationen so viel Zeit. Da ich im Augenblick nicht so viel Zeit habe, werde ich nur die einflussreichsten Autoren der deutsch/österreichischen, der französischen und der portugiesischen Tradition berücksichtigen. In der deutsch/österreichischen Tradition sind das Ernst Friedrich Seidler, Louis Seeger, Gustav Steinbrecht, Paul Plinzner, Friedrich von Krane, Peter Spohr, Otto de la Croix, Hans von Heydebreck, Waldemar Seunig, Gustav von Dreyhausen, Alois Podhajsky und Kurt Albrecht.
In der französischen Tradition sind es François Baucher, Faverot de Kerbrech, Alexis L’Hotte, Albert Decarpentry und Etienne Beudant.
Aus der portugiesischen Tradition sind mir Übersetzungen von Manoel Carlos d’Andrade, Dom Diogo de Bragança und Miguel Tavora zugänglich 

Literaturübersicht

Ich habe eine List der Aspekte der Versammlung zusammengestellt, die für diese Autoren von zentraler Bedeutung waren und habe sie inhaltlich ein wenig geordnet. 

Hinterbeine

  • Die Hinterbeine treten unter den Körper und beugen sich, sodass sie die Last nach oben heben bzw. schieben.

  • Die Kruppe senkt sich.

  • Die Hinterbeine fungieren als Sprungfedern.

Eine Gemeinsamkeit unter den Autoren besteht darin, dass sie alle darin übereinstimmen, dass das Pferd zur Versammlung beide Hinterbeine unter den Köper bringen und dort beugen muss, wodurch sich die Kruppe senkt. Die Autoren der deutsch/österreichischen Tradition gehen davon aus, dass dadurch die Last auf die Hinterbeine übertragen wird, sodass sie zumindest in den hohen Klassen einen größeren Lastanteil als die Vorderbeine stützen. Die Autoren in der Tradition Bauchers unterscheiden sich ein wenig in dieser Hinsicht, als sie eher ein horizontales Gleichgewicht anzustreben scheinen, in dem die Vorder- und Hinterbeine einen gleich großen Lastanteil stützen,  wodurch es dem Pferd möglich wird, sich leicht in alle Richtungen zu bewegen. Da die Vorderbeine in der Ruheposition jedoch einen größeren Teil der Körpermasse stützen müssen, erfordert die horizontale Balance ebenfalls eine gewisse Lastübertragung auf die Hinterhand.

Manche Autoren vergleichen die Hinterbeine mit Sprungfedern, die durch die Körpermasse zusammen gedrückt werden und den Körper anschließend vorwärts-aufwärts heben und schieben, wenn sie ihre Gelenke wieder strecken. Je weiter die Hinterbeine hinter dem Schwerpunkt auffußen, desto horizontal wird die Fortbewegung sein. Sind sie zu weit hinten heraus, heben sie die Kruppe hoch und schieben das Pferd auf die Vorhand. Je dichter sie am Schwerpunkt auffußen, desto vertikaler wird ihre Streckung sein und sie können den Körper mehr hochheben, was zu kürzeren, höheren Tritten führt. 

Mobilität

  • Verkürzen und Verschmälern der Unterstützungsfläche

  • Beweglichkeit, d.h. die Fähigkeit, sich in alle Richtungen zu bewegen

  • Konzentration der Kräfte in der Körpermitte

Die meisten Autoren erwähnen, dass die Unterstützungsfläche des Pferdes in der Versammlung kürzer und schmaler werden muss. Mit anderen Worten, die Hinterbeine müssen näher an die Vorderbeine herantreten und die seitlichen Beinpaare müssen dichter aneinander vorbei treten. Beides kann durch Biegen und Wenden (gebogene Linien) und durch Übertreten und Biegen (Seitengänge) erreicht werden.

Eine kleinere Unterstützungsfläche macht das Pferd beweglicher, sodass es sich leicht in alle Richtungen bewegen kann. Ein versammeltes Pferd ist wie ein Ball, der eine sehr kleine Unterstützungsfläche und eine kugelrunde Oberfläche besitzt. Daher erfordert es sehr wenig physische Kraft, um eine sehr große Kugel zu bewegen. Im Unterschied dazu ist ein unausbalanciertes Pferd sehr rechteckig, mit einer großen Unterstützungsfläche, ähnlich wie ein Lastcontainer, der sich aufgrund des großen Reibungswiderstandes zwischen dem Boden und der Unterstützungsfläche nur mit sehr großem Kraftaufwand bewegen lässt.

François Baucher spricht von der Konzentration der Kräfte in der Körpermitte. Dies beschreibt sehr gut die ballartige Mobilität des versammelten Pferdes. 

 Wirbelsäule

  • Geschmeidigkeit der Wirbelsäule

  • Rückengang

  • Rundheit des Rückens und des Halses

  • Biegsam und geschmeidig

  • Bequem zu sitzen

  • Abwesenheit von Verspannungen und Widerständen

  • Aufwölben des Rückens und Erweiterung des Brustkorbs

  • Aufrichtung des Halses

Ein weiterer Aspekt der Versammlung, den viele klassische Autoren erwähnen, ist die Geschmeidigkeit und Biegsamkeit, die Abwesenheit von Widerständen, sowie die Rundheit der Wirbelsäule.

Wenn wir alle vier Pferdebeine näher zusammen rücken, wird die Unterstützungsfläche kleiner. Beugen sich die Hinterhandgelenke in dieser Position, hebt sich der Widerrist, die Oberlinie dehnt sich und der Brustkorb erweitert sich.

Das erinnert mich an einen Bogen: Zieht man die Bogensehne zurück, nähern sich beide Enden des Bogens einander und der Bogen bildet eine engere Krümmung. Die Wirbelsäule des Pferdes verhält sich ähnlich wie der Bogen. Die Beine bilden bei diesem Vergleich die Enden des Bogens.

Das Anheben des Widerrists führt zur Aufrichtung des Halses. Dies wird oft als sogenannte  “relative Aufrichtung” bezeichnet, da sie sich proportional zur Hankenbeugung verhält: je tiefer die Beugung der Hinterhandgelenke, desto höher wird die Aufrichtung des Halses. Macht das Pferd eine Kniebeuge, kann es den Boden benützen, um die Vorhand hochzuheben.

Im Unterschied dazu wird die sogenannte “absolute Aufrichtung” dadurch erzeugt, dass die Reiterin  Kopf und Hals des Pferdes mit den Händen hochhebt. Durch die Verbindung, die zwischen Hinterhand und Kopf und Hals besteht, kann ein Anheben des Halses durch Kreuz und Zügel aus dem Widerrist heraus die Hankenbeugung erhöhen - allerdings nur bis zu einem bestimmten Grad.  Übersteigt die absolute Aufrichtung die Fähigkeit der Hinterhand sich zu beugen und die Körpermasse zu stützen, werden der Pferderücken und der Widerrist absacken und die Haltung wird ungesund für den Rücken und die Sehnen und Gelenke. Es gehört viel reiterliches Gefühl dazu zu spüren, wann die Grenze erreicht ist, um dieselbe nicht zu überschreiten.

Eine Voraussetzung für die Versammlung ist die seitliche und longitudinale Geschmeidigkeit der Wirbelsäule, d.h. sie muss sich sowohl seitlich biegen als auch longitudinal beugen können. Dabei geht die seitliche Biegung der longitudinalen Beugung voraus. Die seitliche Muskulatur entlang der Pferdewirbelsäule und des Brustkorbs muss dehnbar und geschmeidig gemacht werden, bevor sich die Wirbelsäule widerstandslos beugen kann, insbesondere wenn das Exterieur des Pferdes nicht ideal ist.

Die seitliche Biegung des Pferdes ermöglicht es dem inneren Hinterbein weiter unterzutreten. Umgekehrt hilft das Engagement des inneren Hinterbeins die Muskulatur auf der Außenseite des Brustkorbs und Halses zu dehnen, sodass das Pferd sich seitlich biegen kann.

Da die korrekte seitliche Biegung ein Aufwölben des Rückens und des Widerrists beinhaltet, erzeugt sie eine Dehnung der Oberlinie, welche wiederum zur longitudinalen Beugung mit einem entspannten Genick führt, sodass das Pferd seinen Schädel “wie einen Kronleuchter” locker hängen lassen kann, wie Charles de Kunffy es beschreibt.

Die Gänge eines versammelten Pferdes sind bequem zu sitzen, da die Hinterbeine und der aufgewölbte Rücken als Stoßdämpfer fungieren, die das Auftreten der Pferdebeine abfedern. Diese Art Pferd wird als Rückengänger bezeichnet, da die Energie der Hinterbeine durch die gesamte Wirbelsäule hindurch zu den Zügeln fließt, ohne irgendwo blockiert zu werden und ohne an irgendeiner Stelle durch ein Leck aus dem Körper auszutreten, sodass sie vollständig zur Hinterhand  recycled werden kann.

Im Unterschied dazu ist der sogenannte Schenkelgänger steif im Rücken und in der Hinterhand. Der Energiefluß wird an verschiedenen Stellen durch Muskelblockaden unterbrochen, welche die Gelenke daran hindern, sich mit vollem Bewegungsumfang zu beugen und zu strecken. Die Gänge eines Schenkelgängers sind hart und unbequem zu sitzen, da die Hinterbeine die Beugephase überspringen und sich sofort strecken, sobald sie den Boden berühren. Ungebeugte Hinterbeine können jedoch den Rücken nicht unterstützen oder beschützen. Umgekehrt kann ein steifer Rücken den Aufprall der Pferdebeine auf dem Boden nicht weich abfedern, und wenn die Beine hart und ungefedert auf dem Boden auffußen, dann erleiden die unteren Gelenke und die Sehnen der Vorderbeine und Hinterbeine unnötige Abnützungserscheinungen im Trab und Galopp.

Ein geschmeidiger Rücken beschützt hingegen die Sehnen und Gelenke in allen vier Beinen. Geschmeidige Hinterbeine beschützen den Rücken.

Pferde mit steifem Rücken haben oft gesundheitliche Probleme in den Beinen. Pferde mit steifen Hinterbeinen haben oft Rückenprobleme. 

Fluidität, Elastizität, Schwung

  • Anpassung der Gänge und der Haltung an die gerittene Übung

  • Fluidität

  • Elastizität

  • Erhöhte Aufmerksamkeit und Bereitschaft

  • Schwung

Viele klassische Autoren betonen, dass der Energieaufwand des Pferdes nicht abfallen darf, wenn der Versammlungsgrad erhöht wird. Sonst bewegt sich das Pferd nur langsam, mit schleppenden Hinterbeinen. In den versammelten Gängen muss genug Energie und Schwung vorhanden sein, damit das Pferd auch wieder die Tritte verlängern und vorwärts gehen kann.

Die Versammlung ist keine statische Haltung, wie bei einer Statue. Sie erfordert (und erzeugt) ein hohes Maß an Geschmeidigkeit und Justierbarkeit. Dies schließt die Fähigkeit ein, die Vorder- und Hinterbeine ein wenig mehr nach rechts oder links zu positionieren, um den Pferdekörper auf die gerittene Linie oder einen Seitengang einzurichten. Es beinhaltet auch die Fähigkeit, die Tritte zu verlängern und zu verkürzen, sich seitlich in beide Richtungen zu biegen und die Wirbelsäule in longitudinaler Richtung mehr oder weniger stark zu beugen.

Ist ein Pferd in alle Richtungen beweglich, kann es jederzeit

  • links oder rechtsum abwenden

  • die Biegung wechseln

  • einen Übergang in eine andere Gangart oder zum Halten ausführen

  • die Tritte verlängern und verkürzen

  • Sich vorwärts-abwärts dehnen und wieder zu einer etwas mehr aufgerichteten Haltung zurückkehren. 

Alle Dressurlektionen werden durch diese Beweglichkeit möglich.

Diese Geschmeidigkeit und Biegsamkeit erzeugt flüssige, elastische Gänge und Bewegungen. Sie erlaubt der Reiterin die Balance und Haltung des Pferdes an jede Wendung und an jede Lektion anzupassen, die sie reiten will, sodass die Ausführung der Lektion so wenig Anstrengung wie möglich erfordert. Um schnelle Kombinationen von Wendungen, Übergängen und Lektionen reiten zu können, muss das Pferd in der Lage sein, innerhalb von ein bis zwei Tritten seine Balance und seine Haltung anzupassen.

Die Versammlung besitzt auch einen psychologischen Aspekt. Um sich physisch versammeln zu können, muss das Pferd geistig versammelt sein. Um physisch ruhig und losgelassen zu sein, muss es auch innerlich ruhig und ausgeglichen sein. Ein ruhiges, versammeltes Pferd ist konzentriert, aufmerksam auf die Reiterin und denkt mit. Ein nervöses, misstrauisches Pferd wird dazu nicht in der Lage sein.

Schlußbemerkung

Liest man die Beschreibungen der alten Meister, sieht man, dass die Eigenschaften, welche die  meisten Reiter mit Versammlung in Verbindung bringen, wie beispielsweise kürzere Tritte, höhere Aufrichtung oder auch ein langsameres Tempo, eher Nebenprodukte sind, als dass sie den Kern der Versammlung treffen. Sie sind sichtbare Oberflächenphänomene, während die wahre Natur der Versammlung funktionaler Art ist und vielleicht eher gefühlt als gesehen werden kann.

Kürzere Tritte sind das Ergebnis der verkleinerten Unterstützungsfläche, nicht das Resultat von schleifenden Hinterbeinen, die weit hinter dem Schwerpunkt auffußen.

Verlangsamt sich das Tempo in der Versammlung, liegt es daran, dass das Durchlaufen des gesamten Bewegungszyklus des Hinterbeins von Vorschwingen, Auffußen, Beugen unter der Körpermasse, um die Last zu stützen, Strecken der Gelenke, um die Last vorwärts zu schieben und Abfuhren eine gewisse Zeit braucht. Eilende Pferde, die sich in einem zu schnellen Tempo bewegen, überspringen die Beugephase. Ihre Hinterbeine schieben sofort nach dem Auffußen. Wenn sie ihre Gelenke beugen, verlangsamen sie das Tempo, da die Beugung und Streckung mehr Zeit benötigt.

Die höhere Aufrichtung ist das Ergebnis der untergeschobenen und gebeugten Hinterbeine, die den Rücken und den Widerrist anheben, nicht das Resultat der Reiterhände, die den Pferdekopf hochheben. Zu viel Aufrichtung drückt den Rücken und den Widerrist nach unten. Die Kruppe wird dann angehoben und die Hinterbeine werden hinten herausgeschoben.

Versucht die Reiterin, die Versammlung zu erzwingen, indem sie den Kopf aktiv höher hebt als Rücken und Hinterhand verkraften können, oder indem sie versucht, hauptsächlich mit der Hand oder durch schweres Einsitzen, die Tritte zu verkürzen und das Tempo zu verlangsamen, oder indem sie vorne festhält und hinten treibt, wird das Pferd sich im Rücken, Brustkorb, Hals, Genick und in der Hinterhand verspannen. Losgelassenheit und Geschmeidigkeit sind dann verloren, der Schwung ist weg, die Elastizität und der Ausdruck der Gänge sind weg und die Durchlässigkeit ist verschwunden. Das hat dann mit Versammlung nichts zu tun, selbst wenn die Tritte kurz und langsam sind und der Hals aufgerichtet ist.

Echte Versammlung ist immer begleitet von Schwung, Geschmeidigkeit, Geraderichtung und Gleichgewicht. Sie ist geradezu deren Produkt.

Aus meiner eigenen Erfahrung heraus würde ich noch die Verbindung der vier Pferdebeine mit dem Boden und dem Gewicht als Voraussetzung für die Versammlung hinzufügen: “Only a horse that is connected can be collected”, wie einer unserer Lehrer zu sagen pflegte (Nur ein Pferd, das verbunden ist, kann versammelt werden). Wenn das Reitergewicht durch jedes einzelne Pferdebein in den Boden fließen kann, öffnet das Pferd seinen Rücken und lädt den Reitersitz ein. Es dehnt seinen Brustkorb aus, füllt die Reiterschenkel und lässt die Hilfen durchgehen.
Versammelte Gänge sind keine langsamen, schläfrigen Gänge. Echte Versammlung erfordert eine bestimmte Energie, ein gewisses “inneres Feuer”, wie einer unserer Lehrer es nannte.

Zu viel Energie erzeugt Verspannung.

Nicht genügend Energie lässt das Pferd schläfrig und unmotiviert erscheinen.

Das richtige Maß zu finden ist nicht immer leicht. Manche Pferde besitzen von Natur aus sehr wenig Energie und einen sehr geringen Muskeltonus. Andere stehen von Haus aus immer unter Strom und verspannen sich sehr schnell.

Ein versammeltes Pferd fühlt sich an, als ob es physisch und psychisch bereit ist, sich jederzeit in jeder beliebigen Gangart in jede beliebige Richtung zu bewegen. Ich denke, das ist die Definition von Versammlung, zu der ich momentan am meisten neige.
Was die Frage angeht, ob nun eine Gewichtsverlagerung auf die Hinterhand stattfindet, wie die alten Meister lehren, oder ob es keine Gewichtsverlagerung gibt, wie die wissenschaftliche Studie behauptet, bin ich mir nicht sicher. Wenn ich reite, kann ich die Hinterbeine unter den Körper bringen, sodass es sich so anfühlt, als ob ich direkt über ihnen säße. Dann müssen die Hinterbeine mein Gewicht aushalten und es durch Beugen unterstützen. Findet das Pferd dies schwierig, weil seine Hinterhand nicht kräftig oder geschmeidig genug dafür ist, versucht es sich unter Umständen zu entziehen, indem es sich schief macht oder indem es sich hinter Sitz und Schenkel verkriecht. Ich kann dann einen Kompromiss eingehen, indem ich ihm erlaube, seinen Hals zu senken, damit es weiterhin an den Hilfen vorwärts geht. Das Senken des Halses mit einer gedehnten Oberlinie  verlagert einen Teil der Last wieder von den Hinterbeinen nach vorne.

Man kann auch mit dem Pferd “Wippe" spielen: man kann ihm erlauben, den Hals ein wenig zu senken und dann das innere Hinterbein durch Zirkel Vergrößern oder durch einige Tritte im Schultervor oder Schulterherein engagieren. Sobald das Hinterbein unter dem Sitz ankommt, kann man sich drauf setzen und es mit Hilfe des Gewichts und mit halben Paraden zu beugen. Man kann versuchen, die Aufrichtung für ein paar Tritte zu erhöhen und es daraus in eine Dehnungshaltung entlassen, in der es den Hals senkt und den Rücken und den Widerrist anhebt. Wechselt man zwischen beiden Haltungen ab, verbessert sich die longitudinale Geschmeidigkeit der Wirbelsäule und der Hinterhand.

Ich kann also fühlen, wie das Gewicht in dieser Art der Übung vorwärts und rückwärts fließt. Ich weiss jedoch nicht wie quantifizierbar dieses Gefühl ist.

Das erinnert mich an ein Zitat, das Albert Einstein zugeschrieben wird: “Nicht alles, was zählbar ist, zählt und nicht alles, was zählt, lässt sich zählen.” Das trifft auf die Reiterei und die Pferdeausbildung in besonderem Maße zu.