Mehr Vorwärts!

“Vorwärtsgehen hat nichts mit Geschwindigkeit zu tun. Vorwärtsgehen ist die ständige Bereitschaft zum natürlichen freien Vortritt, die auch im Rückwärtsrichten noch vorhanden sein muß. Eilen und Abschieben haben auch die Richtung nach vorn, sind aber ebensowenig natürliches Vorwärtsgehen wie verhaltene Tritte und Zackeln; auch ist eiliges Rückwärtskriechen kein Rückwärtsrichten.”

- Udo Bürger, 1959

“Reit mehr vorwärts!” ist wahrscheinlich eine der Anweisungen, die Dressurreiter am häufigsten von ihren Lehrern hören. Leider wird vorwärts reiten oft mißverstanden als schnell reiten (sowohl von den Lehrern als auch von den Schülern).

Vorwärtsreiten im eigentlichen Sinne fängt jedoch damit an, dass das Pferd vorwärts “denkt”. Das bedeutet, dass sein erster Gedanke sein sollte, sich vorwärts zu bewegen (nicht seitwärts oder rückwärts), wenn man eine treibende Hilfe gibt. Die Vorwärtsbewegung entsteht durch die Streckung der Hinterbeine, die die Körpermasse nach vorwärts-aufwärts schieben. Dies kann in einer langsamen oder einer schnellen Geschwindigkeit geschehen. speed. Sie ist unabhängig von der Gangart, der Trittlänge oder dem Tempo. Das Pferd sollte sogar im Halten und im Rückwärtsrichten noch vorwärts denken, sodass es jederzeit bereit ist, daraus nach vorne anzutreten.

Was das “Vorwärtsreiten” durch Erzeugen von mehr Schubkraft aus der Hinterhand kompliziert, ist die Notwendigkeit, dass das Pferd ausbalanciert sein soll, d.h. dass das landende Hinterbein die Körpermasse auffangen muss, die das schiebende Hinterbein nach vorne befördert. Das bedeutet, dass das Hinterbein, welches unter dem Schwerpunkt auffußt, seine Gelenke beugt und als Stoßdämpfer wirkt, bevor es sich wieder streckt und nun seinerseits die Körpermasse nach vorne befördert. Je mehr das Pferd mit der Streckmuskulatur des einen Hinterbeins schiebt, desto mehr muss die Beugemuskulatur des anderen Hinterbeins die Körpermasse auffangen und stützen. Erzeugt man zu viel Schubkraft, werden die Beugemuskeln nicht kräftig genug sein, um den Körper in der Landung aufzufangen. In diesem Fall verliert das Pferd seine Balance, wird eilig und legt sich wahrscheinlich schwer auf die Zügel. 
Erzeugt man hingegen nicht genug Schubkraft, erreicht die Energie der Hinterhand nicht das Gebiss und kann daher auch nicht durch Sitz und Zügel an die Hinterhand zurück geleitet werden.

“Nie den Trieb nach vorwärts zu fördern auf Kosten der Haltung, nie die Haltung zu fördern auf Kosten der Gehlust. Ach, wie leicht ist das gesagt und wie schwer ist es oft, diese Grenze richtig zu ziehen!"

- Otto v.Monteton, 1898

Für praktische Zwecke sollen die Hinterbeine genug schieben, damit das Pferd sich vorwärts bewegt und den Kontakt mit dem Gebiss sucht, aber nicht so stark, dass dadurch die Beugemuskeln überfordert werden. Deshalb muss man mit jungen Pferden und Korrekturpferden oft etwas untertourig anfangen, um ihnen zu helfen, die Beugung und Streckung ihrer Hinterhandgelenke gegeneinander auszubalancieren.

Sobald man eine gute Balance zwischen Schieben und Tragen gefunden hat und das Pferd sich loslässt und den Rücken aufwölbt, kann man allmählich mehr Schubkraft anfordern. Zu Beginn werden viele Pferde erst ein wenig schwerer in der Anlehnung werden, weil der Beugungsgrad der Hinterhand noch derselbe ist wie vorher. Sobald man jedoch mit dem Sitz, Bügeltritten und halben Paraden die Hankenbeugung erhöht, findet das Pferd eine neue Balance auf einem höheren Niveau von Schieben und Tragen und wird wieder leicht. Mit dieser Strategie kann man im Laufe der Jahre die Gänge des Pferdes voll entwickeln.

Die meisten Pferde besitzen stärkere Streckmuskeln als Beugemuskeln, d.h. sie schieben mit der Hinterhand mehr als sie tragen. Bei diesen Pferden muss man die Schubkraft anfangs etwas reduzieren, damit sie zur Tragkraft passt.

Andere Pferde neigen dazu sich zu verhalten und hinter die Hilfen zu kommen, weil sie nicht genug schieben. Bei diesen wird man zu Beginn mehr Schubkraft entwickeln müssen.

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Dr. Thomas Ritter