Tiefer Sitz - Leichter Sitz

Was ist ein tiefer Sitz?

Sie haben wahrscheinlich alle schon gehört, dass eine der Eigenschaften des guten Sitzes darin besteht, dass er “tief” ist. Aber was bedeutet das? Für mich persönlich ist ein tiefer Sitz ein Sitz mit niedrigem Schwerpunkt und der größtmöglichen Unterstützungsfläche. Dies verleiht ihm Stabilität und erlaubt der Reiterin das Pferd mit ihrem ganzen Körper zu fühlen. Daher sagten die alten Meister, dass man “im” Pferd sitzen sollte und nicht “auf” oder “über” dem Pferd. Ein Sitz mit hohem Schwerpunkt und kleiner Unterstützungsfläche ist dagegen instabil und erlaubt der Reiterin nicht das Pferd wirklich gut zu fühlen.

Ein niedriger Schwerpunkt und eine große Unterstützungsfläche erlauben der Reiterin darüberhinaus auch ihr Gewicht durch die Pferdebeine mit dem Boden zu verbinden. Der Sitz ist dann sicher und ausbalanciert, was dazu führt, dass man sich auf dem Pferderücken zu Hause fühlt und sich entspannen kann.

Schwerer Sitz

Ein mögliches Missverständnis des tiefen Sitzes besteht darin, dass manche Reiter denken, sie müssten mit besonders langen Steigbügeln reiten oder sich sehr schwer auf ihre Gesäßknochen setzen. Sind die Steigbügel jedoch zu lang, werden die Hüft-, Knie- und Knöchelgelenke der Reiterin zu sehr gestreckt, sodass sie nicht mehr als Stoßdämpfer fungieren können. Die Unterstützungsfläche wird kleiner, wenn die Beine zu sehr gestreckt sind. Die Reiterin fühlt sich weniger stabil und weniger unabhängig im Sattel. Die Oberschenkel drehen sich in den Hüftgelenken nach außen und die Hüften werden steif. Die Reiterin ist dann nicht mehr in der Lage, dem Pferderücken und dem Brustkorb völlige Bewegungsfreiheit in alle Richtungen zu gewähren, da ihr selbst die Bewegungsfreiheit in den Beingelenken fehlt.

Sitzt die Reiterin schwer auf ihren Gesäßknochen, wird sie langfristig den Pferderücken am Aufwölben hindern, sodass die Hinterbeine nicht untertreten können. Das Pferd zerbricht in zwei Teile und fällt auf die Vorhand. Die Verbindung zwischen den Hinterbeinen und dem Gebiß mittels der Wirbelsäule ist dann unterbrochen. Das Becken und die Beine der Reiterin müssen in der Lage sein, die Bewegungen des Pferdebrustkorbs in alle Richtungen zu ermöglichen und sie zu formen, indem sie bestimmte Bewegungen gezielt vergrößern oder verkleinern. Man kann also sagen, dass der Sitz gleichzeitig tief UND leicht sein sollte. Manchmal ist es notwendig, ein wenig Platz unter unserem Becken und unseren Gesäßknochen zu schaffen, damit das Pferd seinen Rücken heben und mit den Hinterbeinen mehr untertreten kann, was dann zu größerer Rundheit und Durchlässigkeit führt. Dies erfordert, dass die Reiterin zusätzlich auch unterhalb des Beckens und der Gesäßknochen Unterstützung findet, d.h. von den Innenseiten der Oberschenkel und Knie.

Schwebender Sitz

Der entgegengesetzte Fehler wäre immer nur leicht sitzen zu wollen, quasi in einem permanenten 2-Punkt Sitz oder einem Schwebesitz über dem Pferd. Das führt meist dazu, dass das Pferd seine Hinterbeine streckt und die Kruppe hochdrückt, sodass der Rücken durchhängt und es auf die Vorhand fällt. Manchmal treten diese Pferde dann zwar mit der Hinterhand weit unter den Körper, aber sie beugen sie nicht. Infolgedessen legen sie sich entweder auf die Hand oder gehen über den Zügel. Ist der Rücken kurz oder sind sie überbaut, treten sie sich eventuell in die Ballen, weil die überlasteten Vorderbeine nicht schnell genug abfuhren können, um den landenden Hinterbeinen Platz zu machen. Beugen sich die Hinterbeine dagegen unter der Last, haben die Vorderbeine genug Zeit um rechtzeitig abzufußen.

Biomechanik der Hinterhand

In jedem Tritt fußen die Hinterbeine ab, sie schwingen nach vorne, sie fußen wieder auf und beugen sich unter der Last und schieben anschließend die Körpermasse vorwärts, wenn sie ihre Gelenke wieder strecken. Der Sitz der Reiterin muss alle drei Bewegungen zulassen, indem sie die wellenartige auf und ab Bewegung des Pferderückens durch Beugen und Strecken ihrer Hüft-, Knie- und Knöchelgelenke begleitet. Darüberhinaus muss das Becken in allen drei Dimensionen beweglich sein, um die Bewegungen des Pferdebrustkorbs und -rückens in allen Achsen zu ermöglichen. Bei einem neutralen Sitz beugen und strecken sich die Beingelenke der Reiterin genau so viel oder so wenig wie sich Rücken und Brustkorb des Pferdes auf und ab, vorwärts und rückwärts und links und rechts bewegen. Kein Teilaspekt der Tritte wird on der Reiterin vergrößert oder verkleinert.

Ein schwerer Sitz, bei dem das gesamte Körpergewicht der Reiterin permanent von oben auf den Pferderücken drückt, betont im ersten Moment die Beugung des aufgefußten Hinterbeins. Er hält dieses Bein jedoch auch am Boden fest und lässt es so früh wie möglich wieder zum Boden zurückkehren. Dies bewirkt eine Verlangsamung der Hinterbeine und hindert diese daran abzufußen und unterzutreten, sodass die Tritte immer kürzer werden und die Hinterbeine den Rücken nicht mehr stützen können. Der Pferderücken bricht dann unter dem Reitergewicht zusammen, das Pferd drückt den Rücken weg und geht über den Zügel oder macht den Hals kurz.

Ein schwebender Sitz hat die entgegengesetzte Wirkung des schweren Sitzes, insofern als er die Hinterbeine nie beugt. Auf der positiven Seite erlaubt dies dem Pferderücken sich aufzuwölben. Aber auf der negativen Seite werden die Hinterbeine steifer, weil sie immer gestreckter bleiben. Dadurch wird der Gang hart und unelastisch, weil ohne Hankenbeugung keine Stoßdämpfung durch die Hinterhand stattfindet, und der Rücken wölbt sich nicht auf und schwingt nicht, wenn die Hinterbeine nicht als Federn fungieren. Es können auch Ballentritte mit entsprechenden Verletzungen vorkommen, oder die Hinterbeine treten immer kürzer und schleppender, wobei die Zehen durch den Sand geschleift werden.

Was soll ich jetzt machen?

Eine gute Strategie besteht darin, mit einem neutralen Sitz anzufangen, der tief, ausbalanciert und geschmeidig ist, nicht in irgendeiner Position fixiert. Alle Gelenke sollten sich gerade so viel beugen und strecken, wie es der natürlichen Bewegung des Pferderückens und der Hinterhand entspricht. Beobachten Sie die Qualität dieser Bewegung. Was fällt Ihnen am meisten auf? Was ist gut an dem Schritt, Trab oder Galopp, den Sie gerade reiten? Was würden Sie gerne verbessern? Ist er elastisch, federnd, rund, energisch, oder hart, stoßend, flach, leblos? Wenn Sie nicht wissen, welchen Aspekt Sie verändern sollten, können Sie einfach experimentieren, indem Sie eine der drei Phasen der Bewegung der Hinterhand betonen und beobachten, ob sich das Pferd anschließend besser oder schlechter anfühlt. Im Unterricht frage ich die Schüler oft, wie sich das Pferd vor und nach einer Übung anfühlt. Viele Reiter finden es sehr schwer, ihr Gefühl in Worte zu fassen. Wenn man jedoch präzise beschreibt, was man fühlt, dann trainiert man das Gefühl, die Beobachtungsgabe und die Reflexion des Gefühlten. Dies wird zu einem wertvollen diagnostischen Werkzeug.

Das Abfußen und Vorschwingen des Hinterbeins kann betont werden, indem man sich nicht nur passiv vom Pferd hochheben lässt, sondern indem man sich einen Sekundenbruchteil mit den Knien stützt und das Becken ein wenig höher schwingen lässt als das Pferd einen heben würde, wenn man sich vollkommen passiv verhielte. Dies kann noch verstärkt werden, indem man mit dem Unterschenkel auf der Seite des abfußenden Hinterbeins treibt. Gibt man die treibende Hilfe einen Sekundenbruchteil bevor das Hinterbein abfußt, kann man das Hinterbein beschleunigen, falls es sich zu langsam bewegt hat.

Die Beugung des Hinterbeins und das Stützen der Last kann akzentuiert werden, indem man sich mehr sinken lässt und die eigene Energie, sowie das Gewicht durch das sich beugende Hinterbein in den Boden schickt. Dadurch werden die Tritte kürzer und höher, wenn die Sitzhilfe wieder nachgibt. Wenn das Pferd im Gange eilt, kann man einen Sekundenbruchteil länger am unteren Ende der Bewegung verharren bevor man sich vom Pferd wieder hochheben lässt. Dies wird das Tempo verlangsamen. Diese Sitzhilfe kann verstärkt werden durch Bügeltritte auf der Seite des landenden Hinterbeins und/oder halben Paraden mit einem der Zügel.

Das Strecken des aufgefußten Hinterbeins kann durch das Engagieren der Rückenmuskeln verstärkt werden und indem man das eigene Gewicht und die eigene Energie durch das sich streckende/schiebende Hinterbein in den Boden schickt. Gleichzeitig kann man mit beiden Knien einen kurzen Druck ausüben, wenn sich das Hinterbein auf dem Boden hinter der Senkrechten befindet. Ich lasse darüberhinaus mein Becken vorwärts-aufwärts schwingen, wenn ich mehr Schub aus der Hinterhand erzeugen möchte. Dadurch unterdrücke ich nicht die Aufwölbung des Pferderückens beim Zulegen und ich lenke die Energie sowohl nach oben als auch nach vorne, sodass das Pferd nicht auf die Vorhand fällt.

Zusammenfassung

Es ist wichtig sich daran zu erinnern, nicht alles auf einmal zu tun oder ständig einzuwirken zu wollen, sondern einen Aspekt des Ganges auszuwählen, den man verbessern möchte, diesen für 2-3 Tritte zu betonen und anschließend zum neutralen Sitz zurückzukehren und die Wirkung der Hilfe zu beobachten. Aufgrund der Beobachtung wählt man eventuell einen anderen Aspekt oder wiederholt die letzte Hilfe, wenn deren Wirkung noch nicht ausreichend war.
Manchmal es Sinn, Abfolgen von Hilfen zu bauen, z.B. erst das Abfußen und Vorschwingen eines Hinterbeins und anschließend dessen Beugung für 2-3 Tritte zu betonen. Dadurch gewinnt der Gang an Elastizität.

Oder man akzentuiert erst die Beugung des aufgefußten Hinterbeins für 2-3 Tritte und anschließend das Abfußen/Vorschwingen. Dies führt zu kürzeren, höheren, energischeren Tritten, die sich im Laufe der Zeit zu einer Passage steigern können.

Man könnte auch ein Hinterbein für 2-3 Tritte mehr untertreten lassen und anschließen dessen Streckung für 2-3 Tritte mehr betonen. Dadurch entstehen kraftvollere Tritte und eine solidere Verbindung vom Hinterfuß zum Zügel, falls das Pferd sich verhalten sollte.

Dr. Thomas Ritter