Maul- und Zungenprobleme

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Ich habe kürzlich eine email von einer Dame bekommen bezüglich eines Zungenproblems, das ihr Pferd sein ganzes Leben lang hatte. Seine Zunge kommt oft in der Mitte des Maules zum Vorschein, ca. 4cm, und verschwindet wieder. Es klingt wie eine Art Leckbewegung. Das Pferd neigt auch zur Nervosität und ist leicht abgelenkt.


Da ich weder die Reiterin noch ihr Pferd kenne, musste mein Rat sehr allgemein gehalten sein. Ich habe ihr verschiedene mögliche Ursachen genannt, die sie selbständig untersuchen kann. Da Maul- und Zungenprobleme nicht selten vorkommen und von einer Vielzahl von Faktoren ausgelöst werden können, dachte ich, dass dies auch für andere ein interessantes Thema sein könnte.


Wann immer ein Ausbildungsproblem auftritt, müssen wir nach der zugrundeliegenden Ursache suchen, um eine nachhaltige Korrektur zu finden. Sehr oft liegt die Wurzel des Problems in einem anderen Körperteil als dessen offensichtlichste Symptome.


Viele Leute werden sofort annehmen, dass Maul- und Zungenprobleme durch eine harte Hand verursacht werden. Das ist natürlich eine mögliche Ursache, neben Zahnproblemen oder einer schlecht passenden Ausrüstung. Es ist immer ein guter Ausgangspunkt, wenn man mit der Überprüfung dieser drei Faktoren beginnt. Es gibt darüberhinaus aber noch mehrere andere Gründe, warum ein Pferd die Zunge herausstreckt, übertrieben kaut oder zu viel Schaum produziert.

Meine Antwort:
Das klingt nach einem interessanten Problem. Maul- und Zungenprobleme können viele verschiedene Ursachen haben, die Sie selbst untersuchen können. Ein Zungenfehler ist meistens nur ein Symptom von etwas Anderem, das nichts mit dem Maul zu tun hat. Deshalb führt es meistens auch nicht weiter, das Gebiss zu wechseln. Es wäre interessant, das Pferd einmal mit einem Kappzaum oder einem anderen gebisslosen Zaum zu reiten, nur um zu sehen, ob das Zungenproblem hier ebenfalls auftaucht. Besteht das Problem auch mit gebissloser Zäumung, ist es ein Beweis dafür, dass es nichts mit dem Maul oder dem Gebiss zu tun hat.

Nervosität
Sie schreiben, dass das Pferd zur Nervosität neigt. Dies könnte sich in übertriebenen Zungenbewegungen ausdrücken. Nervosität führt oft zu exzessivem Kauen, zu großer Schaumentwicklung und eventuell auch zu häufigem Lecken der Lippen.

Hals und Genick
Manchmal haben diese Zungen- und Anlehnungsprobleme etwas mit dem Exterieur des Pferdes zu tun. Als andalusischer Hengst hat Ihr Pferd wahrscheinlich einen ziemlich massigen Hals. Dies kann es erschweren, das Genick in alle Richtungen geschmeidig zu machen. Die eingeschränkte Beweglichkeit eines kurzen, massigen Halses oder eines verwachsenen Genicks wirkt sich vermehrt in höherer Versammlung aus, bei der die Aufrichtung und damit auch die Beizäumung höher ist. Die Beweglichkeit der Halswirbelsäule läßt sich durch Biegeübungen am Boden oder unter dem Reiter untersuchen. Es gibt eine Reihe traditioneller Biegeübungen, die mit den Zügeln und dem Gebiss oder dem Kappzaum durchgeführt werden (siehe z.B. François Baucher oder Ernst Friedrich Seidler).


Man kann die Geschmeidigkeit von Hals und Genick auch testen, indem man eine Hand auf den Nasenrücken legt und die andere Hand an die Seite des Halses. Dann versucht man den Kopf sanft zu sich hin zu bewegen und wieder zurück zur Mitte. Muskelsteifheiten oder -blockaden werden dabei schnell offensichtlich. Durch die unterschiedliche Platzierung der Hand an der Seite des Halses kann man alle Halswirbel untersuchen. Findet man eine unbewegliche Stelle, kann man sie durch diese Biegeübungen mobilisieren.


In diesem Zusammenhang wäre es interessant, ob das Pferd diese Zungenbewegungen ständig zeigt, oder nur in bestimmten Situationen. D.h. kommen sie nur bei anstrengender Arbeit in höherer Versammlung vor, wenn das Pferd die Hanken mehr beugen und sich mehr aufrichten muss, oder auch beim vorwärts-abwärts Dehnen? Es wäre interessant, dies zu untersuchen, indem man abwechselt zwischen Zügel aus der Hand kauen Lassen und wieder Aufnehmen der Zügel. Gibt es eine Balance/Haltung (Engagement der Hinterhand/Aufrichtung/Beizäumung), in welcher die Zunge im Maul bleibt, oder in der es zumindest besser ist? Gibt es eine Balance/Haltung, in der es eindeutig schlimmer ist? Dies gibt Ihnen Hinweise darauf, wo die Ursache des Problems liegen könnte.

Hinterhand
Eine weitere mögliche Ursache für Zungenprobleme sind die Hinterbeine. Fällt es einem Pferd schwer, seine Hanken zu beugen und die Last zu tragen, öffnet es unter Umständen das Maul oder kaut exzessiv, wenn man die Hinterhand mehr belasten möchte. Wird das Zungenproblem schlimmer, wenn man den Versammlungsgrad erhöht, und besser, wenn man es in einer legereren Haltung reitet, dann könnte das auf Unbehagen in der Hinterhand hindeuten.

Rücken
Eine andere Mögliche Erklärung wäre, dass die Zungenprobleme ihren Ursprung im Pferderücken haben. Die Tatsache, dass die Leckbewegung nicht an der Longe ohne Reitergewicht auftritt, könnte darauf hindeuten. Es wäre interessant herauszufinden, wie sich die Zunge in der Handarbeit oder am langen Zügel verhält.


Bleibt die Zunge beispielsweise ruhig im Maul, wenn man den Versammlungsgrad an der Hand oder am langen Zügel erhöht, deutet es eher auf den Rücken als auf die Hinterhand als Ursache des Problems hin. Ist die Zunge dagegen ruhig an der Longe in einem niedrigen Versammlungsgrad, während sie herauskommt, sobald man den Versammlungsgrad an der Hand oder am langen Zügel erhöht, deutet dies eher auf die Hinterhand und/oder das Genick als den Rücken als Ursache des Problems hin.


Um den Rücken als mögliche Ursache des Problems zu untersuchen, kann man beispielsweise den ausgesessenen Trab mit dem Leichttraben vergleichen. Und man kann mit dem Sitz experimentieren. Sitzen Sie tendencies mit Ihrem ganzen Gewicht auf den Gesäßknochen, oder verteilen Sie Ihr Gewicht über eine größere Fläche? Hat Ihr Pferd generell einen empfindlichen Rücken?


Ist der Pferderücken allgemein sensibel, dann reagiert es wahrscheinlich mit Verspannungen, wenn man zu sehr auf den Gesäßknochen sitzt. Läßt man dagegen das Körpergewicht um den Brustkorb des Pferdes herum fließen, indem es auch über die Innenflächen der Oberschenkel verteilt ist, reduziert sich der Druck pro Quadratzentimeter auf den Pferderücken. Das macht manchmal einen großen Unterschied. Man kann darüberhinaus den Sitz mehr oder weniger strecken und mit dem Engagement der tieferen Rumpfmuskulatur spielen.


Sitzt die Reiterin sehr entspannt, mit einem geringen Engagement der tiefen Rumpfmuskulatur, kann sie sich für den Pferderücken sehr schwer anfühlen, so wie nasser Schnee zwar weich ist, aber durch sein Gewicht ein Dach zum Einsturz bringen kann. Engagiert man die tiefe Rumpfmuskulatur mehr, bekommt man mehr Selbsthaltung, wodurch man sich für das Pferd leichter anfühlt.


Zusätzlich kann man ab und zu die Aufwärtsbewegung des Pferderückens betonen. Manche Pferde heben dann ihren Rücken mehr, werden runder und entspannen ihr Genick und ihren Kiefer.


Und schließlich kann man auch den eigene Unterkiefer und die eigene Zunge beobachten. Beißen Sie die Zähne zusammen oder spannen Sie beim Reiten Ihre Kiefermuskulatur an? Manchen Leuten passiert dies unwillkürlich, wenn sie sich sehr stark konzentrieren. Jede Anspannung in unserem Körper überträgt sich auf das Pferd, manchmal auf merkwürdige Weise.

Schiefe
Ein weiteres Zungenproblem, das dieses Pferd zwar nicht hat, das aber dafür viele andere Pferde haben, besteht darin, dass die Zunge auf einer Seite heraushängt. Dies ist oft ein Schiefenproblem. Man kann dies sehr gut untersuchen, indem man ein Hinterbein einige Tritte übertreten läßt und beobachtet, ob die Zunge weiterhin heraushängt, oder ob sie wieder im Maul verschwindet. Dann läßt man das andere Hinterbein einige Tritte übertreten und beobachtet, was mit der Zunge passiert. Ich habe viele Fälle gesehen, bei denen es eine direkte Verbindung zwischen der Zunge und einem Hinterbein gab. Wenn die Reiterin dieses Hinterbein unter die Last brachte, verschwand die Zunge wieder im Maul. Kam die Zunge einige Tritte später wieder zum Vorschein, war es ein Zeichen dafür, dass das Hinterbein nicht mehr unter die Last trat. Viele Pferde lassen ihre Zunge auf der steifen/konvexen Seite heraushängen, auf der sie sich mehr auf das Gebiss stützen. Sie benützen die Zunge, um den Druck des Gebisses auf die Lade abzuschwächen. Bringt man das ausweichende Hinterbein wieder unter den Körper, hört das Pferd auf sich auf den Zügel der steifen Seite zu stützen und es trägt sich besser. Der unangenehme Druck des Gebisses auf die Lade verschwindet, sodass das Pferd die Zunge nicht mehr heraushängen lassen muss.

Falls Ihr Pferd Zungen- oder Maulprobleme hat, probieren Sie diese Vorschläge aus. Sie werden Sie wahrscheinlich zur Wurzel des Problems führen. Und kennt man dessen Ursache, kann man sie gewöhnlich auch beseitigen. Die Entdeckung der Ursache beinhaltet meist auch bereits mindestens einen Lösungsansatz.

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