Übergänge, Übergänge: Einfach, aber nicht leicht


Dressurpferd im Übergang

Einleitung

Karl Mikolka, einer unserer alten Lehrer, pflegte zu sagen, dass “zwischen Anhalten und wieder Anreiten die gesamte Skala der Ausbildung ihren Ausdruck findet.” Das war ein Aha-Erlebnis für mich, weil ich es noch nie von dieser Seite betrachtet hatte. Aber es leuchtete mir sofort ein, als ich es hörte.

Die Art und Weise, wie ein Pferd Übergänge ausführt, sagt sehr viel über seine Ausbildung aus. Viele Pferde haben Schwierigkeiten mit ganzen Paraden. Die halben Paraden gehen oft nicht durch, sodass das Pferd gegen die Hand geht oder sich einrollt. Sie stehen nicht geschlossen oder werden schief, um nur einige der häufigsten Probleme zu nennen.

Bei Übergängen vom Halten zum Schritt oder Trab, verzögert das Pferd vielleicht seine Reaktion auf die Hilfen, es wird schief, geht gegen die Hand, rollt sich auf, fällt auseinander, rennt der Reiterin unter dem Hintern davon, etc. 
Alle diese Probleme werden verursacht von einem Mangel an Balance, Geraderichtung, Geschmeidigkeit, Aufmerksamkeit und Durchlässigkeit. Man könnte also sagen, dass ganze Paraden zum Halten und das wieder Anreiten aus dem Halten ausgezeichnete diagnostische Hilfsmittel sind, die uns genau zeigen, wo beim Pferd noch Defizite in den Grundlagen bestehen. Gleichzeitig sind diese Übergänge wertvolle therapeutische Hilfsmittel, da sie helfen, die Balance, Geraderichtung, Geschmeidigkeit, Aufmerksamkeit und Durchlässigkeit des Pferdes zu verbessern.

Ganze Paraden zum Halten

Eine sehr gute diagnostische und therapeutische Übung ist das Durchparieren in alle vier Beine. Dabei handelt es sich um eine Serie von ganzen Paraden, zuerst aus dem Schritt, später auch aus dem Trab. Dasselbe Prinzip lässt sich auch auf die Trab - Schritt Übergänge anwenden.

Für die Parade in ein bestimmtes Bein, erteilt man die halben Paraden, wenn dieses Bein aufgefußt hat. Will ich beispielsweise ins äußere Vorderbein parieren, erteile ich meine halben Paraden mit dem äußeren Zügel, wenn sich das äußere Vorderbein am Boden befindet. Gleichzeitig belaste ich ein klein wenig den äußeren Steigbügel.

Möchte ich eine ganze Parade ins innere Hinterbein reiten, gebe ich meine halben Paraden mit einem der Zügel (es könnte sowohl der als auch der äußere sein), wenn das innere Hinterbein  auffußt und belaste gleichzeitig den inneren Steigbügel ein wenig.

In der Tradition der alten Spanischen Reitschule in Wien reiten wir Paraden in eine niedrigere Gangart oder zum Halten mit drei halben Paraden, die in drei aufeinander folgenden Tritten erteilt werden. Die ersten beiden halben Paraden dienen als vorbereitende Hilfen. Die dritte halbe Parade  ist das Ausführungskommando. Es ist so, als ob man dem Pferd sagen würde: “Vorbereiten, vorbereiten, jetzt”. Das gibt dem Pferd genug Zeit, um sich bereit zu machen und es verhindert, dass die Reiterin das Pferd mit ihren Hilfen überfällt.

Diese spezielle Übung besteht aus ganzen Paraden in jedes der vier Beine. Dabei halte ich meistens  die folgende Reihenfolge ein: außen vorne, außen hinten, innen vorne, innen hinten, obwohl andere Sequenzen genauso effektiv sein können.

Beim Üben dieser ganzen Paraden stellt man fest, dass nicht alle Beine gleich empfänglich für die halben Paraden sind. Lässt ein Bein die halben Paraden nicht durch, drückt das Pferd meistens den Rücken weg und geht gegen die Hand. Wenn man die Ganzen Paraden wiederholt, verbessern sich normalerweise die Durchlässigkeit, Balance und Geraderichtung. Das Pferd bleibt rund und als Nebenprodukt steht das Pferd immer öfter geschlossen.

Halten - Schritt/Trab Übergänge

Übergänge vom Halten zum Schritt oder Trab können ebenfalls schwierig sein. Viele Dinge können dabei schief gehen. Manche Pferde benützen die Vorderbeine als Antrieb, indem sie sich mit ihnen in den Schritt oder Trab hineinziehen. Manche Pferde schleudern mit den Schultern in Richtung Zwangsseite. Manche Pferde rennen davon, ohne dass die Reiterin das Tempo oder die Trittlänge bestimmen kann. Manche Pferde reagieren nicht auf die treibenden Hilfen und gehen nicht vorwärts. Manche gehen rückwärts statt vorwärts. Alle diese Probleme führen in der Regel dazu, dass das Pferd den Rücken wegdrückt und über den Zügel geht.

Da Pferde dazu neigen, sich das einzuprägen und zu perfektionieren, was sie gewohnheitsmäßig immer tun, kann das Üben von schlechten Übergängen dazu führen, dass die Mechanik der schlechten Übergänge so fest ins Pferd einprogrammiert wird, dass es davon überzeugt ist, dass dies die korrekte Ausführung ist, da die Reiterin sie immer so geritten ist. Um diese schlechten alten Gewohnheiten durch neue, bessere zu ersetzen, müssen wir dem Pferd erklären, dass das, was es bisher gemacht hat, falsch ist, und wir müssen ihm eine Alternative zeigen.


Bei Übergängen in eine höhere Gangart möchte ich, dass das Pferd 6 Anforderungen erfüllt. Ich möchte, dass es:

  • Am Schenkel ist,

  • Am Sitz,

  • Gerade,

  • Bergauf,

  • Rund,

  • Leicht.

Das bedeutete, dass sein Hinterbein sofort zuckt und bereit ist abzuheben, sobald ich es mit dem gleichseitigen Schenkel berühre.

Wenn es vortritt, soll es seinen Rücken aufwölben und mir erlauben, sein Tempo und seine Trittlänge zu regulieren.

Ich möchte auch, dass es genau in seiner Fahrspur bleibt, sodass es während des Übergangs funktional geradegerichtet bleibt.

Ich möchte, dass es den Widerrist anhebt und in einer bergauf Balance antritt.

Ich möchte aber auch, dass es dabei rund (durchs Genick) und leicht in der Hand bleibt.

Wenn man sich auf diese 6 Anforderungen konzentriert, stellt man fest, dass es relativ leicht ist, 2 oder 3 davon zu erfüllen. Es ist jedoch gar nicht so leicht, alle 6 zu erfüllen. Unser Pferd reagiert vielleicht gut auf die Schenkelhilfen. Aber es drückt dabei den Rücken weg und rennt uns unter dem Hintern davon. Es ist vielleicht am Schenkel und am Kreuz, aber es schlenkert im Übergang mit den Schultern. Es bleibt vielleicht rund, aber nicht in einer bergauf Balance. Es hebt vielleicht seine Vorhand an, aber ohne dabei rund zu bleiben. Es ist vielleicht rund, aber wird dabei schwer in der Hand, usw.

Vom Schenkel zum Kreuz und vom Kreuz zur Hand

Um eine alte Gewohnheit zu verändern und durch eine neue zu ersetzen, verwende ich gerne eine stop-and-go Übung: Ich pariere an der langen Seite auf dem ersten Hufschlag zum Halten und veranlasse das Pferd, sein inneres Hinterbein anzuheben und damit mehr unter mich zu treten. Die anderen drei Beine dürfen sich ebenfalls bewegen, aber die Vorderbeine sollten sich eher in vertikaler als in horizontaler Richtung bewegen, sodass die Hinterbein ihnen gegenüber aufholen und mehr untertreten können. Nach ein oder zwei Tritten halte ich wieder an und wiederhole den Vorgang. Das Pferd bewegt sich in kleinen Tritten vorwärts, was nur möglich ist, wenn das augefußte Hinterbein nicht zu stark schiebt, sondern sich genügend beugt, um die Last zu stützen, während das andere Hinterbein untertritt. Dies kann auf einfachem Hufschlag oder auch im Schulterherein geschehen.

Diese Art der Übung eignet sich nicht für junge Remonten, da ihre Hinterbeine weder kräftig genug noch geschmeidig genug sind, um solche kurzen Tritte zu machen oder um länger als ein bis zwei Sekunden durchs Genick anzuhalten.

Es ist mir wichtig, dass das Pferd sein linkes Hinterbein hebt, wenn ich es mit dem linken Schenkel berühre und dass es das rechte Hinterbein hebt, wenn ich es mit dem rechten Schenkel berühre. Da es ein Hinterbein nur dann heben kann, wenn dieses nicht gerade die Last stützt, muss das Pferd in der Lage sein, das Gewicht von einer Seite zur anderen zu verlagern, damit ein bestimmtes Hinterbein aufgehoben werden kann.

Das ist für viele Pferde erstaunlich schwer, da sie aufgrund ihrer natürlichen Schiefe dazu neigen, sich immer mit derselben Körperseite abzustützen. Das ist auch der Grund, warum sie tendenziell alle Übergänge mit demselben Hinterbein anzufangen und warum sie eine Hand im Galopp bevorzugen. Um wirklich gerade gerichtet und ausbalanciert zu sein, müssen sie lernen, den Übergang mit einem beliebigen Hinterbein anzufangen, und das setzt die Fähigkeit voraus, Dias Gewicht von einer Körperseite zur anderen zu verlagern.

Wenn das Pferd ein Hinterbein anhebt, möchte ich, dass es gleichzeitig seinen Rücken und Widerrist anhebt, um meinem Sitz zu begegnen. Ich muss dazu eventuell etwas leichter sitzen, um seinem Rücken Platz zu machen. Sitzt die Reiterin zu schwer auf ihren Gesäßknochen, kann sie damit das Pferd an der Aufwölbung seines Rückens hindern. Deshalb müssen wir ihm oft einen kleinen Freiraum anbieten, indem wir unser Becken aus den Knien heraus nach oben federn lassen. Diese Bewegungen sind so klein, dass man sie nicht wirklich sieht, aber sie sind groß genug, dass das Pferd sie deutlich spüren kann. Sie erleichtern dem Pferd die Arbeit, während ein schwerere Sitz die Arbeit viel mühsamer macht als nötig wäre. 
Die Aufwölbung des Rückens erlaubt dem Pferd, bei meinem Kreuz nachzufragen, welche Gangart, welches Tempo und welche Trittlänge ich reiten möchte. Manche Pferde drücken in den Übergängen den Rücken weg und rennen am Kreuz vorbei. Wenn dass passiert, halte ich das Pferd wieder an, bringe die Hinterbeine unter mich und fange von vorne an.

Nachdem die Schenkelhilfe das Anheben des Hinterbeins veranlasst hat und der Rücken sich in meinen Sitz hinein gehoben hat, setzt sich die von der Hinterhand kommende Welle an der Wirbelsäule entlang fort. Der Widerrist wird angehoben, die Oberlinie dehnt sich, und das Genick sollte sich ein wenig nach vorne-unten bewegen, weg von mir, sodass das Pferd in die Anlehnung hinein tritt (jedoch ohne sich auf das Gebiss zu legen). Werden die Energie Impulse der Hinterhand nicht richtig von der Wirbelsäule des Pferdes übertragen, weil beispielsweise der Rücken festgehalten ist, wird mir das Genick wahrscheinlich nach hinten-oben entgegen kommen, anstatt sich nach vorne-unten zu bewegen.
Die Reiterhand muss diese Welle der Energie durchlassen, indem sie ein wenig leichter wird oder sich entspannt, jedoch ohne die Anlehnung aufzugeben. Gibt man zu viel nach, lässt man das Pferd in ein Loch fallen, es verliert die Balance, der Rücken wird fest und das Pferd geht über den Zügel. Gibt man dagegen gar nicht nach, wird das Pferd wahrscheinlich den Unterhals gegen den Zügel anspannen und gegen die Hand gehen, oder es legt sich auf das Gebiss, selbst wenn der Hals rund bleibt. Der zugrundeliegende Gedanke ist, dass die Hand der Reiterin dem Hinterbein Platz macht, sodass es untertreten kann, genau wie der Sitz dem Pferderücken Platz machen muss, damit er sich aufwölben kann.

Schiebt das Pferd im Übergang seine Schultern auf eine Seite, muss man eventuell auf dieser Seite eine stabilere Anlehnung bewahren, aber dafür auf der anderen Seite deutlicher nachgeben, damit das Pferd seine Vorhand von der geschlossenen Tür fort und zum offenen Raum auf der gegenüberliegenden Seite hin bewegt.

Einfach, aber nicht leicht

Wie so Vieles in der Reiterei, klingt auch dies in der Theorie ganz einfach, aber die Umsetzung ist vor allem am Anfang alles andere als leicht. Ein Pferd und eine Reiterin, die diese Übergänge perfekt ausführen können, sind in Wahrheit schon sehr weit fortgeschritten in ihrer Ausbildung. Allerdings hilft schon die Arbeit an diesen 6 Kriterien, beide auf ein höheres Niveau zu bringen.

Die Reiterin braucht dazu einen gut ausbalancierten und koordinierten Sitz. Das Pferd braucht ebenfalls ein gutes Körpergefühl und eine gute Balance. Deshalb braucht es meistens etliche Wiederholungen dieser stop-and-go Übung, bis das Pferd in der Lage ist, gute Übergänge auszuführen, in denen es mit dem richtigen Hinterfuß beginnt, beim Kreuz nachfragt und sich bergauf, rund und leicht trägt. Das ist eine recht “langweilige”, detail-orientierte Arbeit, die sich jedoch auszahlt, weil das Pferd sich rundherum sehr stark verbessern wird.
Wird diese Übertragungskette vom Schenkel zum Kreuz und vom Kreuz zur Hand während des Übergangs irgendwo unterbrochen, halte ich an, bereite uns beide wieder vor und fange neu an. Gelingt ein Übergang vom Halten zum Schritt, versuche ich einen Übergang vom Schritt zum Trab zu reiten, bei dem ich dieselben Prinzipien anwende, in der Absicht, dieselbe bergauf Balance, Rundheit und Leichtigkeit mit aufgewölbtem Rücken und angehobenem Widerrist beizubehalten. Geht im Übergang etwas schief, unterbreche ich das Pferd, gehe zum Schritt (oder zum Halten) zurück und fange von vorne an.

Sobald die Übergänge vom Halten zum Schritt und vom Schritt zum Trab weicht und leicht gelingen, nehme ich die Übergänge vom Halten zum Trab dazu, welche dann auch nicht mehr schwierig sein dürften.

Wundern Sie sich nicht, falls Ihr Pferd Ihnen halbe Tritte oder sogar Piaffetritte anbietet, wenn diese Übergänge ein gewisses Qualitätsniveau erreicht haben. Je kürzer und je mehr bergauf diese ersten Tritte ausgeführt werden, desto mehr wird das Pferd von sich aus die Tritte diagonalisieren, weil dies energiesparender ist als der Schritt.

Das Pferd wird sich allmählich immer mehr verbessern und diese Übergänge mit einer Aufwölbung des Rückens einleiten, dabei ein Hinterbein mehr unter den Körper setzen und die Reiterin vorwärts-aufwärts mitnehmen in einer Gangart, die bequem zu sitzen ist, mit einer angenehmen, leichten, steten und gleichmäßigen Anlehnung.

Nach dem Übergang


Es lohnt sich auch darauf hinzuweisen, dass die Aufgabe der Reiterin nicht erledigt ist, sobald der Übergang ausgeführt wurde. Im Gegenteil, das ist erst der Anfang. Viele Leute hören auf zu reiten, sobald sich das Pferd in der neuen Gangart befindet, da sie sich so sehr auf den Übergang konzentriert hatten, dass sie nie daran gedacht hatten, was danach passiert. Das Pferd fühlt sich deshalb im Stich gelassen, da die Reiterin ihm keine Führung mehr gibt. Es wird dann schief, fällt auseinander, verliert das Gleichgewicht, geht über den Zügel, usw. 

Sobald wir die neue Gangart erreicht haben, müssen wir dem Pferd mitteilen, welches Tempo, welche Trittlänge und welches Energieniveau wir möchten, welche Hufschlagfigur wir reiten wollen, usw. Die Unterhaltung geht also weiter. Sie hört nie auf. Selbst wenn alles gut geht und wir uns passiv verhalten, während das Pferd selbständig weiter arbeitet, gibt es keine “Funkstille”. Die Kommunikation reißt nicht ab. Wir hören einander nach wie vor zu.