Verlieren Sie nicht das Gesamtbild aus den Augen

Verlieren Sie nicht das Gesamtbild aus den Augen

Der Blog dieser Woche enthält einen weiteren praktischen Tipp, der das Resultat von Fehlern ist, die ich in der Vergangenheit gemacht habe. Jedesmal, wenn etwas schief geht, hat man die Gelegenheit, genauer zu untersuchen was passiert, wie es passiert und warum es passiert. Es ist eine tolle Chance, etwas Neues zu lernen und tiefere Einblicke in die biomechanischen und psychologischen Kausalitäten des Reitens zu gewinnen. Fehler sind also in vieler Hinsicht Geschenke, weil sie uns vorwärts schubsen können und uns helfen ein tieferes Verständnis und größere Kompetenz zu erwerben.

Selbsthaltung, Gleichgewicht, & Leichtigkeit

Selbsthaltung, Gleichgewicht, & Leichtigkeit

Einleitung
Wir werden immer wieder gefragt, wie man ein Pferd, das sich auf das Gebiss legt, leicht in der Hand bekommt und wie man es von der Vorhand weg bekommt. Die beiden Fragen sind mit einander eng verwandt. Die Anlehnung, die das Pferd am Zügel nimmt, ist keine lokale Angelegenheit, die auf das Pferdemaul und die Reiterhand beschränkt ist, sondern sie ist vielmehr das Resultat des Gleichgewichts, der Gesamthaltung des Pferdes, sowie des Zustands der Muskulatur im ganzen Pferdekörper. Deswegen bringt es auch meistens nicht viel, wenn man das Gebiss wechselt, weil die Ursachen tiefer liegen.

Mögliche Ursachen für eine schwere Anlehnung
Wenn etwas nicht gut läuft, ist es immer wichtig, dass man nach den möglichen Ursachen forscht, bevor man sich für einen konkreten Lösungsansatz entscheidet. Beschränkt sich die Korrektur nämlich auf das Symptom (schwere Anlehnung), ohne die zugrundeliegende Ursache zu berücksichtigen, ist es unwahrscheinlich, dass das Pferd wirklich leicht wird.
Legt sich das Pferd auf die Hand, ist es immer ein Zeichen von mangelndem Gleichgewicht: die Hinterbeine schieben mehr als sie tragen. Sie benützen ihre Streckmuskulatur mehr als ihre Beugemuskulatur und das Pferd überträgt einen (manchmal beträchtlichen) Teil seines Gewichts auf die Reiterhand.
In manchen Fällen werfen die Hinterbeine das Gewicht auf die Vorhand, weil sie nicht genug untertreten. Sie fußen nahe an der Senkrechten oder hinter den Senkrechten auf, sodass sie die Beugephase überspringen und ihre Gelenke sofort strecken. Da sie weit vom Schwerpunkt entfernt sind, wirkt diese Kraft von hinten auf die Last und schiebt sie horizontal vorwärts. Fußen die Hinterbeine dagegen nahe am Schwerpunkt auf, können sie die Körpermasse hochheben, da ihre Kraft die Last eher von unten als von hinten trifft und dadurch eher in senkrechter als horizontaler Richtung wirkt.
In manchen Fällen fußen die Hinterbeine zwar nahe am Schwerpunkt auf, aber ohne sich zu beugen und ohne die Last zu stützen. Fehlt der Hinterhand die Kraft die Last zu stützen, oder fehlt dem Pferd das Vertrauen in seine Hinterbeine, wird es versuchen, seine Hinterhand zu entlasten. Eine Möglichkeit ist dabei, den Hals zu senken und sich auf die Zügel zu stützen. Gleichzeitig wird es versuchen, die Gelenke der Hinterbeine so gestreckt wie möglich zu halten, was zu einer harten, schweren Anlehnung, sowie einem harten, unbequemen Gefühl unter den Gesäßknochen führt.

Mögliche Lösungsansätze
Da die Ursache des Problems aus einem Mangel an Balance und Hankenbeugung besteht, kann es nicht durch ein schärferes Gebiss gelöst werden. Es hat nichts mit dem Pferdemaul zu tun. Die schwere Anlehnung ist lediglich ein Symptom und wird nur dann verschwinden, wenn man die Wurzel des Problems eliminiert: das Ungleichgewicht zwischen Schieben und Tragen. Sobald die Hinterbeine sich beugen und einen größeren Anteil der Körpermasse tragen, wird die Anlehnung leicht werden.
Der Balancemangel des Pferdes hat meistens einen longitudinalen und einen lateralen Aspekt:
Die Vorderbeine müssen einen größeren Lastanteil als die Hinterbeine stützen, wenn die Gelenke der Hinterhand sich nicht ausreichend unter der Last beugen,
und ein seitliches Beinpaar muss einen größeren Lastanteil stützen als das andere. Dies ist ein Schiefenproblem. Die von Haus aus hohle/konkave Seite des Pferdekörpers trägt in der Regel einen geringeren Gewichtsanteil, weil das Hinterbein dieser Seite neben dem Körper herläuft, anstatt unter die Last zu treten. Dadurch wird das Gewicht auf die Schulter der von Haus aus steifen/konvexen Seite gewälzt. Das ist der Grund, warum die Anlehnung auf der von Haus aus konvexen Seite meistens härter oder schwerer ist als auf der konkaven Seite.

Es gibt noch einen weiteren, damit zusammenhängenden Aspekt: Gustav Steinbrecht schreibt, dass die Widerstände, die man in den Zügeln spürt, in der Regel ihre Unterstützung in einem der Pferdebeine finden. In manchen Fällen ist es ein Hinterbein, in anderen ein Vorderbein. Das Pferd kann sich nur gegen den Zügel sperren oder sich auf den Zügel legen, so lange sich dieses Bein am Boden befindet. Es verwendet also im Grunde den Boden gegen den Reiter. Lässt man es dieses Bein hochheben, muss es sein Gewicht auf die andere Körperseite verlagern. Sonst würde es umfallen. Dies erzeugt einen stärkeren Einsatz der tiefen Rumpfmuskulatur und eine Gelegenheit, die äußeren Muskeln zu entspannen, die sich gegen den Boden und gegen die Reiterin angespannt hatten. Verlagert das Pferd sein Gewicht auf die andere Körperseite, kann es den Zügel loslassen, auf den es sich gestützt hatte, auch wenn es zunächst nur wenige Tritte dauert.
Verspannungen und Auf-die-Hand-stützen des Pferdes sind statischer Natur. Der menschliche Instinkt besteht meistens daraus, das statische Verhalten des Pferdes durch statische Gegenmaßnahmen zu bekämpfen, wie Gegenhalten und Ziehen. Da das Pferd jedoch schwerer und stärker als der Mensch ist, gewinnt es jedes Tauziehen. Das einzige, was in diesen Situationen gewöhnlich funktioniert, ist ein Auflösen der statischen Widerstände, indem man das Gewicht in Bewegung versetzt, sodass das Pferd seine Balance neu organisieren muss. Dadurch engagiert es Muskeln, die bisher unbeteiligt waren und entspannt Muskeln, die verspannt waren. Mit anderen Worten, es hört auf, sich gegen den Boden und gegen die Reiterin zu stemmen.
Haltung und Balance werden meist zur Gewohnheit. Pferde stützen sich gerne mit den Beinen, die sie am besten spüren. Wird ein Bein vermehr benützt, entwickelt sich dessen Muskulatur stärker und es wird neurologisch immer besser mit dem Gehirn vernetzt und steht daher immer leichter zur Verfügung als die anderen Beine. Manche Pferde haben ein “Lieblingsvorderbein”, mit dem sie sich immer stützen. Leider entwickelt sich durch diese Asymmetrie die Muskulatur sehr ungleichmäßig, es entstehen kompensatorische Steifheiten und Verspannungen an verschiedenen Körperstellen und das zu stark benützte Vorderbein verschleißt vorzeitig.
Versucht man die Gewichtsverteilung zu verändern, werden manche Pferde sehr defensiv, weil sie denken, dass man sie umbringen will. Sie wissen nicht, dass sie zwei gesunde Beine auf beiden Körperseiten besitzen. Oder sie glauben nicht, dass alle ihre Beine stark genug sind, um die Körpermasse zu stützen. Deshalb widerstreben sie anfangs jeder Veränderung der Balance. In diesen Situationen kommt man meistens weiter, wenn man das Gewicht nur für einen kurzen Moment vom Lieblingsbein weg bewegt und es danach wieder zurückkehren lässt. Je öfter man diesen Vorgang wiederholt, desto mehr lernt das Pferd, dass es an jeder Ecke des Körpers ein Bein besitzt und dass alle Beine in der Lage sind, die Körperlast zumindest kurzfristig zu stützen. Dadurch entsteht ein größeres Gefühl der Sicherheit und des Selbstvertrauens. Das Pferd hat keine Angst mehr davor umzufallen und zu sterben, Es führt auch zu einem besseren Körpergefühl und einer gleichmäßigeren Entwicklung der Muskulatur.

Zusammenfassung
Will man eine schwere Anlehnung leicht machen, muss man an 6 Gebieten arbeiten.
Mentale Flexibilität: das Pferd muss sich die Bewegung vorstellen können, die die Reiterin von ihm verlangt. Versteht das Pferd nicht, was die Reiterin von ihm will, oder weiss es nicht, wie es dies umsetzen soll, wird es sich verspannen und widerstreben.
Körperbewusstsein: das Pferd muss seine Beine fühlen können, sowie die Gewichtsverteilung über der Unterstützungsfläche. Kann es nicht spüren, wo seine Beine sind und welches Bein gerade die Last stützt, kann es auch nicht seine Balance verändern und wird sich verspannen und widerstreben.
Balance: das Pferd muss lernen, sein Gewicht beliebig über die stützenden Beinen zu verteilen und umzuverteilen. Balance ist nicht statisch. Sie ist dynamisch. Ein Pferd befindet sich nur dann wirklich im Gleichgewicht, wenn es seine Gewichtsverteilung von einem Sekundenbruchteil zum anderen verändern kann, um den Anforderungen der Situation zu genügen.
Koordination: das Pferd muss seine Beine in jede Richtung bewegen können (vorwärts, rückwärts, seitwärts) und aus dem Halten sowohl mit dem rechten als auch mit dem linken Hinterbein antreten können.
Geschmeidigkeit: Schultern, Becken/Hinterhand und Wirbelsäule sollten frei beweglich sein, ohne durch Muskelblockaden in ihrem Bewegungsrahmen eingeschränkt zu sein. Dadurch ist das Pferd in der Lage, sich auszubalancieren und selbst zu tragen, ohne die Reiterhand als fünftes Bein benützen zu müssen.
Kraft und Ausdauer: die Hinterbeine und die Haltungsmuskeln müssen kräftig genug sein, um die Selbsthaltung für längere Zeit durchhalten zu können.

Ich habe in der Praxis festgestellt, dass wir oft bei der Entwicklung des Körperbewusstseins des Pferdes anfangen müssen. Dann können wir die Geschmeidigkeit und die Balance verbessern und erst wenn das Pferd die richtigen Muskeln entdeckt hat, die es braucht um sich auszubalancieren, können wir diese kräftigen und konditionieren.

Entwicklung des Körperbewusstseins des Pferdes (Unterrichtsblog)

Entwicklung des Körperbewusstseins des Pferdes (Unterrichtsblog)

Gestern habe ich mit Patrick und Solo, seinem Kladruberwallach gearbeitet. Es wurde eine Einheit zur Entwicklung des Körperbewusstseins des Pferdes, sowie der Verbindung der Pferdebeine mit dem Boden und dem Gewicht. Im Laufe der Jahre ist mir immer öfter aufgefallen, dass viele Pferde kein gutes Körpergefühl hat. Sie scheinen nicht genau zu wissen, wie viele Beine sie genau haben, oder wo sich diese befinden. Das erinnert mich immer etwas an Quantenphysik: Man weiss entweder, wo sich ein Partikel befindet, aber nicht wohin und wie schnell es sich bewegt. Oder man weiss, wohin und wie schnell es sich bewegt, aber nicht wo es ist. Mit den Pferdebeinen verhält es sich manchmal ähnlich.

Das Körpergefühl des Pferdes verbessern

Das Körpergefühl des Pferdes verbessern

Ein wichtiger Aspekt der Pferdeausbildung besteht darin, dass der Reiter beim Lehren einer neuen Lektion oder einer besseren Haltung zuerst das Körpergefühl, das Koordinationsvermögen und das Balanciervermögen des Pferdes verbessern muss. Dazu gehört, dass das Pferd lernt, seine Füße anders zu setzen, sein Gewicht anders zu verteilen und andere Muskelkonfigurationen einzusetzen als bisher.  Das geht natürlich nur, wenn das Pferd weiss, wo seine Füße sind.


 Es müssen also neurologische Verbindungen zwischen dem Gehirn und den entsprechenden Muskelgruppen hergestellt werden, damit es erst einmal lernt diese zu finden und zu aktivieren.