Mögliche Gründe, warum Ihr Pferd nicht durchs Genick geht Teil 1

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Einleitung


Ich erinnere mich noch lebhaft an eine Reitstunde in meiner Jugend. Mein Lehrer sagte zu mir: “Dein Pferd muss mehr durchs Genick gehen.” Das war mir nur zu schmerzlich bewusst, da es einerseits schwer zu übersehen war und andererseits genau das Problem darstellte, mit dem ich die größten Schwierigkeiten hatte. Ich hätte das Pferd sehr gerne mehr durchs Genick geritten. Aber ich wusste nicht, wie. Ich bin es nicht absichtlich über dem Zügel geritten. Aber ich brauchte mehr praktische, ausführbare Informationen, um es besser machen zu können.
Im Laufe der Jahre erforschte ich dieses Thema sehr ausführlich, weil es für lange Zeit so schwierig für mich war und ich entdeckte viele Faktoren, die beim durchs Genick Reiten eine Rolle spielen.

 

Was bedeutet “durchs Genick” überhaupt?


Beziehungsweise, was bedeutet es NICHT? Zunächst: Durchs Genick gehen bedeutet NICHT einfach “Kopf runter”. Obwohl eine relativ senkrechte Kopfstellung meistens ein Ergebnis, ein Nebenprodukt des durchs Genick Gehens ist, ist sie nicht die Ursache und sie ist auch nicht dasselbe wie durchs Genick gehen. Ein Pferd kann ohne weiteres seinen Kopf unten haben, ohne deswegen funktional gesehen durchs Genick zu gehen.


Durchs Genick gehen ist auch keineswegs auf die Beziehung zwischen Reiterhand und Pferdemaul  beschränkt. Das Pferd kann der Reiterin ein leichtes oder weiches Gefühl in der Hand geben, indem es nur am Halsansatz nachgibt, oder indem es die Verbindung mit dem Gebiss generell vermeidet, was dann reiterlich falsch wäre. Es würde in diesem Fall nicht durchs Genick gehen.

Anstatt davon auszugehen, dass das durchs Genick Gehen eine bestimmte oberflächliche Form darstellt, die bei allen Pferden gleich aussieht, ist es besser, wenn man es über die Funktion definiert. Der oberflächliche optische Eindruck variiert, je nach dem Exterieur und Ausbildungsstand des Pferdes.

Für mich persönlich bedeutet “durchs Genick treten”, dass eine energetische Verbindung existiert, die von den Hinterbeinen ausgeht und sich entlang der Wirbelsäule bis zum Gebiss (oder dem Nasenrücken, wenn man gebisslos reitet) fortsetzt und von dort durch die Rumpfmuskulatur der Reiterin (Kreuz) zu den Hinterbeinen zurück recycled wird. Die Bewegungsimpulse der Hinterbeine werden von Wirbel zu Wirbel weiter geleitet, bis die Reiterin sie in ihren Händen spüren kann. Von dort kehren sie durch die Zügel und die Rumpfmuskulatur der Reiterin zurück zu den Hinterbeinen, wo sie benützt werden können, um die Hinterbeine mehr unter dem Gewicht zu beugen.


Dieser Energiekreislauf kann nur hergestellt werden, wenn er nicht durch irgendwelche Muskelblockaden oder falsche Knicks unterbrochen wird. Beide Hinterbeine müssen unter die Last treten und sich in ihren oberen Gelenken beugen, um diese Verbindung herzustellen. Das Pferd muss ausbalanciert, geradegerichtet und geschmeidig sein, sodass alle Muskeln zusammen arbeiten und ihre Arbeit ungestört verrichten können.


Klingt ganz einfach, oder? Warum haben dann so viele Reiter Probleme, ihre Pferde durchs Genick zu reiten? Anders gefragt: was hindert sie daran, ihr Pferd durchs Genick zu reiten?
Es gibt mehrere Faktoren, die das Pferd daran hindern können, durchs Genick zu gehen. Manche sind im Reitersitz zu suchen, während andere ihren Ursprung im Exterieur, der Balance,  Geraderichtung und Muskulatur des Pferdes haben. In diesem Artikel werde ich kurz auf die Probleme eingehen, die den Reitersitz betreffen. Sie hängen alle eng mit ungenügender Rumpfspannung zusammen. Im nächsten Artikel bespreche ich die Probleme, die Exterieur, Gang, Haltung und Muskulatur des Pferdes betreffen und ich gebe einige relativ einfache effektive Übungen, mit denen man das Pferd an die Hilfen stellen kann.

Liste der Reitersitzprobleme:

  • steife Hüften

  • verspannte Gesäßmuskulatur

  • steife Handgelenke und Finger

  • schwerer oder unausbalancierter Sitz

  • ungenügende Verbindung zwischen Sitz und Zügeln

  • schlechtes Timing und Koordination der Hilfen

Viele Sitzprobleme sind die direkte Folge von ungenügender Rumpfspannung. Die Aufgabe der Rumpfmuskulatur besteht darin, den Reiterkörper auszubalancieren und zu stabilisieren, auch und gerade im Trab und Galopp und in den Tempoverstärkungen, in denen die Bewegungen des Pferderückens am größten sind. Wenn die Rumpfmuskulatur das Becken und die Wirbelsäule der Reiterin aufeinander gestapelt halten wie einen Turm aus Bauklötzchen, dann kann die Reiterin ihre  Arm- und Beinmuskulatur entspannen, sodass sie in der Lage ist, mit ihnen das Pferd zu fühlen und mit ihm zu kommunizieren.


Sind die Rumpfmuskeln nicht genügend angespannt, ist die Reiterin dazu gezwungen, sich mit Händen und Beinen am Pferd festzuhalten, um nicht herunter zu fallen. Steife Muskeln können nichts fühlen. Sie können auch nicht wirklich effektiv mit dem Pferd kommunizieren. Aber das ist der Stand, auf dem sich jeder Anfänger befindet. Wenn wir reiten lernen, entdecken wir unsere Rumpfmuskeln und fangen an, sie mehr anzuspannen, während wir gleichzeitig unsere Arm- und Beinmuskulatur mehr loslassen. Das ist übrigens nicht so sehr eine Sache der Kraft der Rumpfmuskulatur, obwohl es natürlich hilft, wenn man über starke Rumpfmuskeln verfügt. Es ist eher eine Sache der Koordination, dass man in der Lage ist, eine Muskelgruppe anzuspannen, während andere entspannt bleiben. Das ist eine Fertigkeit, die man sich im Laufe der Zeit erwerden muss.  Wir sind nicht damit geboren und wir können sie auch nicht schnell an einem Wochenende lernen.


Wie schon erwähnt, führt ein Mangel an Rumpfmuskelspannung zu einem Gleichgewichtsverlust. Ein Mangel an Gleichgewicht führt zu kompensatorischen Muskelverspannungen in anderen Körperregionen. Muskelverspannungen beim Reiter führen ihrerseits zu Verspannungen im Pferdekörper, meistens in dem Körperteil der mit den steifen Reitermuskeln in direktem Kontakt steht.


So lösen beispielsweise steife Handgelenke, Ellbogen und Schultern Muskelblockaden in der Genick- und Unterhalsmuskulatur des Pferdes aus. Eine steife Reiterhüfte verursacht eine Blockade in der Pferdehüfte derselben Seite. Zusammengepresste Gesäßmuskeln führen dazu, dass das Pferd seinen Rücken durchdrückt. Klammernde Schenkel werden vom Pferd durch Verspannen der Brustkorbmuskulatur und durch Luftanhalten beantwortet.


Und alle diese Muskelblockaden im Pferd unterbrechen den Energiefluss von den Hinterbeinen zum Gebiss und zurück. Sie verhindern, dass das Pferd durchs Genick und über den Rücken geht.
Ist die Reiterin schief und seitlich unausbalanciert, wird das Pferd ebenfalls schief und unausbalanciert werden, wodurch sich die Muskulatur der einen Körperseite verspannt. Auch dadurch wird es dem Pferd unmöglich, durchs Genick zu gehen.


Schlechtes Timing und Koordination der Hilfen verhindern ebenfalls, dass das Pferd durchs Genick geht. Erteilt die Reiterin zum Beispiel halbe Paraden, wenn sich das Hinterbein hinter der Senkrechten befindet und die Last vorwärts schiebt, kann das Pferd die Bitte um tiefere Hankenbeugung nicht erfüllen. Oder wenn die treibende Schenkelhilfe während der Stütz- und Beugephase des Hinterbeins erteilt wird, ist es dem Pferd nicht möglich, in diesem Augenblick die Hilfe umzusetzen durch ein Anheben des Hinterbeins. Diese Situationen werden dazu führen, dass das Pferd sich gegen die Reiterin anspannt oder die Hilfen ignoriert, weil sie ihm unverständlich sind.


Hilfen, die zu lange dauern oder zu stark sind, werden ebenfalls Widerstand provozieren und das Pferd daran hindern, durchs Genick zu gehen.


Sollten Sie einige dieser Sitzprobleme wieder erkennen, können Sie die Effektivität Ihrer Zeit im Sattel erhöhen, indem Sie Yoga, Pilates, Feldenkrais oder Alexander Technik betreiben, um Ihre Geschmeidigkeit, Ihre Rumpfmuskelstärke, Ihr Körperbewusstsein und Ihre Balance zu verbessern. In der nächsten Ausgabe unseres Newsletters erkläre ich einige der wichtigsten Gründe, warum Sie Schwierigkeiten haben, Ihr Pferd durchs Genick zu reiten, die ihren Ursprung im Pferd haben und ich werde Ihnen einige relativ einfache Übungen und Strategien geben, die Ihnen helfen werden, Ihr Pferd durchs Genick zu reiten.

 

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