Ummünzen von Frustrationen: Verwandeln Sie Frustrationen in eine wertvolle Lerngelegenheit

Jeder, der sich mit irgend etwas ernsthaft beschäftigt, ist vertraut mit Frustrationen. Insbesondere wenn man Sportler oder Künstler ist und vor allem wenn es sich dabei um die Reiterei handelt. Diese Frustrationen können verschiedene Ursachen haben. Sie können von Ungeduld herrühren, weil wir nicht so schnelle Fortschritte machen, wie wir erwartet oder gehofft hatten. Eine sehr häufige Ursache für Frustration entsteht, wenn wir uns mit anderen Reiterinnen und Reitern vergleichen, seien es unsere Stallkollegen oder berühmte Vorbilder oder auch nur irgendwelche Qualitätsstandards. Ich habe früher oft gedacht: “Wasstimmt mit mir bloss nicht? Warum kann ich nicht so reiten wie so-und-so?” Ich habe beispielsweise immer wieder von mir erwartet, dass ich genauso reiten kann wie meine Lehrer, obwohl sie viele Jahre mehr Erfahrung hatten als ich - vom Talent ganz zu schweigen.

Wir werden vielleicht frustriert wenn das Pferd, das wir reiten, nicht so schnelle Fortschritte macht wie manche andere Pferde, die wir ausgebildet haben. Oder vielleicht hatten wir am Vortag einen sehr guten Ritt und erwarten, dass wir am nächsten Tag genau da weiter machen können, wo wir aufgehört haben, nur um festzustellen, dass das Pferd keinen besonders guten Tag hat. Vielleicht hat es Muskelkater vom Vortag, oder es braucht Zeit, um die neuen Dinge zu verdauen, die es tags zuvor gelernt hatte.

Im Laufe der Jahre habe ich aus meinen Fehlern gelernt, dass es äußerst kontraproduktiv ist, wenn ich mich mit anderen vergleiche. Ich habe mich dadurch immer nur schlecht gefühlt, es nahm mir die Freude am Reiten und ich bin deswegen sogar schlechter geritten, weil ich mich unter Druck gesetzt hatte. Je mehr ich versuchte, den Fortschritt zu erzwingen, desto schlimmer wurde es und umso länger dauerte es bis ich wieder besser wurde. Ich musste sogar mehrfach innerlich aufgeben. Ich musste jegliche Hoffnung aufgeben, ein guter Reiter zu werden, um mich genug zu entspannen, damit ich wieder Fortschritte machen konnte. Ich nehme an, dass dies wahrscheinlich allen ambitionierten und passionierten Reitern von Zeit zu Zeit oder in bestimmten Abschnitten ihrer Entwicklung passiert.   

Vergleicht man das Pferd, das man gerade reitet, mit anderen, ist es dem Pferd gegenüber ebenfalls nicht fair. Es übt zu viel Druck auf uns und das Pferd aus. Wir müssen jeden Tag mit dem Pferd arbeiten, das wir vor uns haben, nicht mit dem Pferd, das wir gerne hätten. (Genau wie das Pferd mit der Reiterin arbeiten muss, die es hat, nicht mit der, die es vielleicht gerne hätte).

Die meisten Frustrationen, die wir erleben, scheinen sich darauf zurückführen zu lassen, dass wir Erwartungen haben, die wir oder unser Pferd (noch) nicht erfüllen können. Sie kommen von einer Einstellung, die ergebnisorientiert ist statt prozessorientiert. Wenn wir “Fehler”, “Defizite” und “Fehlschläge” bewerten und unser Selbstwertgefühl damit verbinden, führt das ebenfalls zu Frustrationen. Wir fühlen uns dann unfähig, untalentiert und hoffnungslos. Ich bin sicher, das sich jeder damit identifizieren kann. Ich habe viele Jahre gebraucht, um zu verstehen, dass dies ungesunde Einstellungen sind, die unseren Fortschritt behindern.

Es ist gesünder und viel produktiver jeden Tag mit unseren Pferden ohne Erwartungen anzugehen.  Pferd und Reiterin machen beide schnellere und leichtere Fortschritte, wenn wir jede Trainingseinheit damit anfangen, dass wir versuchen herauszufinden, wie sich das Pferd an diesem Tag körperlich und emotionell fühlt. Dann fangen wir an dieser Stelle an und versuchen zu erkunden, was an diesem Tag möglich ist. Das bedeutet nicht, dass wir keinen Orientierungssinn oder Langzeitziel haben. Aber wir sind in der täglichen Arbeit flexibel darin, wie wir dieses Langzeitziel erreichen.

Wenn wir auf etwas stossen, dass wir oder unser Pferd noch nicht gut können, überlegen wir: Wir kann ich noch anders sitzen? Wie kann ich anders einwirken? Wie muss ich das Pferd durch diesen Teil der Übung führen? Was hält das Pferd davon ab, es auszuführen? Fehlt ihm das notwendige Körpergefühl, die Balance, Koordination, Geschmeidigkeit oder Kraft? Versteht es nicht, was es tun soll? Wie kann ich ihm eine Leiter aus kleinen Lernschritten bauen, sodass es versteht, was ich will und lernt es umzusetzen? Dann kann man gemeinsam mit dem Pferd eine Lösung des Problems erarbeiten.

Eine weitere hilfreiche Einstellung besteht darin, nicht mit der Erwartung in die Trainingseinheit zu gehen, ein konkretes Ziel zu erreichen, sondern mit der Absicht, etwas Neues über das Pferd zu entdecken, oder über die Dressur, oder über die Ursachen und Folgen und die Beziehungen zwischen den verschiedenen Körperteilen. Dadurch wird alles, was passiert, eine Lernerfahrung und daher wertvoll. Selbst wenn etwas schief läuft, kann man etwas daraus lernen und sein Verständnis vertiefen. Sehr oft lernen wir am meisten von den Dingen, die schief gelaufen sind, weil sie uns zwingen, die Dinge genauer unter die Lupe zu nehmen, die wir zu wissen glauben. Also sollten wir eigentlich dankbar sein für die Dinge, die nicht perfekt klappen, weil sie eine Gelegenheit sind, mehr dazu zu lernen.

Ein weiterer Faktor, an den wir uns erinnern sollten, wenn wir das Gefühl haben, dass wir zu langsame Fortschritte machen, ist, dass wir uns vielleicht in einer Plateau Phase befinden. Pferde und Menschen lernen nicht in einer geraden, stetig ansteigenden Linie. Wir alle haben Lernphasen und Plateau Phasen.


Während der Lernphasen machen wir sichtbare Fortschritte. Unser Können oder das Können unseres Pferdes nimmt zu. Wir sehen “Resultate”. Aber wenn wir erwarten, dass diese Fortschritte langfristig unverändert weitergehen, dann werden wir unweigerlich enttäuscht werden, weil diese Fortschritte sich früher oder später verlangsamen werden oder sogar ganz aufhören.

Während der Plateau Phasen haben wir das Gefühl fest zu stecken. Sie spielen jedoch eine wichtige Rolle bei der Konsolidierung und Verinnerlichung der neuen Dinge, die wir während der letzten Lernphase gelernt haben. Genau wie die Natur den Winter braucht um sich auszuruhen und für die nächste Wachstumsperiode vorzubereiten, brauchen wir die Plateau Phase, um die letzte Lernphase zu verdauen und uns auf die nächste vorzubereiten.

Es kann ebenfalls passieren, dass unser Bewusstsein und unser Verständnis unser praktisches Können überflügeln, sodass wir nach einer Periode der Zufriedenheit mit unserem Reiten plötzlich lauter Dinge entdecken, die wir nur schlecht beherrschen. Das fühlt sich subjektiv so an, als ob wirplötzlich schlechter reiten würden als je zuvor. In Wahrheit ist es jedoch nicht unsere Reiterei, die schlechter geworden ist, sondern unser Bewusstsein und unser Wissen, die sich vertieft haben, sodass wir nun alle möglichen Dinge sehen können, die wir schon immer schlecht oder falsch gemacht haben. In der Vergangenheit war Unwissenheit Glück.

Das neu dazu gewonnene Bewusstsein ist anfangs sehr schmerzlich - bis man feststellt, dass ein neuer Lernzyklus begonnen hat. Das bedeutet, dass man nun bereit ist, neue Probleme anzugehen und in eine neue Wachstumsperiode einzutreten. Dies sind also Wachstumsschmerzen.

Wenn Sie die Enttäuschung und die Frustration darüber uminterpretieren, dass Sie etwas noch nicht können, oder dass Sie noch nicht so gut reiten, wie Sie geglaubt hatten, und sie als ein Zeichen dafür nehmen, dass Sie kurz davor sind, besser zu werden, dann werden Sie sich irgendwann überdiese Entdeckungen sogar freuen.

Dies waren einige Anregungen für einen Perspektivenwechsel. Sie können Frustrationen vermeiden, indem Sie ohne Erwartungen reiten und Fehler und Defizite positiv uminterpretieren, sodass Sie die darin enthaltenen Lerngelegenheiten erkennen, sowie die Anzeichen dafür, dass Sie sehr bald wieder Fortschritte machen werden.