Reiten Sie, als wenn es Ihnen egal wäre

Wir haben eine e-mail von Anna aus Österreich erhalten mit einer Frage, mit der sich wahrscheinlich viele, wenn nicht die meisten Reiterinnen identifizieren können. Anna schreibt, dass sie manchmal beim Reiten einer Übung bei einem Detail stecken bleibt und dann die Übung zu lange fortsetzt. Sie verliert das ursprüngliche Ziel und das große Bild aus den Augen. Gibt sie ihre Erwartungen und Ziele für die Übung oder den Ritt auf, wird es wieder besser. Sie sagt auch, dass sie meistens erfolgreich ist, wenn sie eine Lektion spontan das erste Mal reitet, aber dass sie sie dann oft nicht reproduzieren kann.

Das ist mir früher auch oft passiert. Jeder passionierte Reiter, der sich stark mit seiner Reiterei identifiziert, ist in Gefahr, jeden Fehler als “existentielle Bedrohung” anzusehen. Man verspannt sich, man strengt sich mehr an, man verwendet mehr Kraft (vielleicht ohne es zu wollen, weil man den Druck verspürt, es “richtig” machen zu müssen oder zu wollen). Dadurch wird das Pferd verspannt. Alles wird noch schlimmer anstatt besser.

Die Abwärtsspirale setzt sich fort, bis man frustriert und entmutigt aufgibt. Je mehr man sich anstrengt, desto schlechter reitet man. Irgendwann gibt man auf, weil man glaubt, dass man sowieso hoffnungslos ist und nie reiten lernen wird. Plötzlich klappt es wieder besser, weil man entspannter ist. Man hat keine hohen Erwartungen an sich oder sein Pferd mehr.

Dann schöpft man wieder Hoffnung und fühlt sich besser. Vielleicht ist man ja doch nicht soein hoffnungsloser Fall. Dann wird man wieder ehrgeizig. Man hatte ja schließlich gestern einen guten Ritt, also erwartet man, dass es heute so weiter geht. Man will dort weiter machen, wo man gestern aufgehört hat. Dann fühlt sich das Pferd aber steif an und der Ritt verläuft ganz anders, als man es sich ausgemalt hatte. Man denkt: “das kann doch wohl nicht sein! Gestern ging es so gut! Warum können wir es heute nicht mehr?” Und der Kreislauf beginnt von Neuem. Zumindest ging mir das in der Vergangenheit regelmäßig so.
Im Laufe der Jahre habe ich gelernt, dass ich einen gesunden inneren Abstand vom Ergebnis des einzelnen Rittes brauche, um gut reiten und Fortschritte machen zu können. Ich muss entspannt bleiben, wenn etwas nicht auf Anhieb so klappt wie geplant. Ich muss einen Schritt zurück tun und analysieren, warum es nicht so geht, wie ich es mir vorgestellt hatte und dann andere Lösungsansätze probieren. Ich muss vermeiden mich festzubeissen. Wenn ein Ansatz bei den ersten drei bis sechs Versuchen nicht funktioniert, ist es sehr unwahrscheinlich, dass er bei einem der nächsten hundert Versuche funktionieren wird. Es ist besser, geistig in Bewegung zu bleiben und das Problem vielleicht einzukreisen und von verschiedenen Richtungen anzugehen, um zu identifizieren, was mich oder das Pferd daran hindert, die Übung oder die Lektion richtig auszuführen.

Eine wichtige Lektion, die ich lernen musste, war, dass ein einzelner Ritt nicht meine Reiterei definiert und dass mein Reiten nicht mich als Person definiert: Es wird immer gute und schlechte Ritte geben. Es wird immer Tage geben, an denen wir keine Lösung für ein Problem finden, aber es folgen auch sehr bald wieder Tage, an denen wir eine Lösung finden und umgekehrt. Ein guter Ritt macht mich nicht zum großen Meister. Ein schlechter Ritt macht mich nicht zum hoffnungslosen Fall. Ein guter Reiter zu sein macht uns nicht zu einem besseren Menschen. Schlecht zu reiten macht uns nicht zu einem schlechten Menschen. Wenn wir die Werturteile aufgeben, die wir oft unbewusst mit den Dingen verknüpfen, die uns besonders wichtig sind, haben wir die Freiheit, mit den Pferden, den Übungen und dem theoretischen Wissen zu spielen. Wir können Ideen erforschen und schauen, was passiert. Wir fangen an, Gelegenheiten zu sehen anstatt Probleme und Bedrohungen. Wir bleiben psychisch und physisch entspannter und folglich bleibt auch das Pferd entspannter. Pferd und Reiter können beide die Reiterei mehr geniessen und wenn uns die Richtung nicht gefällt, in die wir uns entwickeln, verändern wir es, bis wir einen besseren Weg gefunden haben. Manchmal dauert es eine Weile, bis wir die richtige Lösung gefunden haben, aber das ist in Ordnung, weil wir von jeder “falschen” Antwort, die wir geben und von jedem fehlgeschlagenen Versuch etwas lernen. Wir lernen sogar von unseren Fehlern mehr als von den Dingen, die wir richtig machen, denn die Fehler zwingen uns, einen Schritt zurück zu tun und unseren Weg zu überdenken, während ein erfolgreicher Versuch uns lediglich in dem bestätigt, was wir schon wissen. Daher sind es typischerweise unsere Fehler, die zu einem Wissenszuwachs führen.

Für mich persönlich lag die Lösung darin, so zu reiten, als ob mir das Ergebnis gleichgültig wäre, was mir sehr schwer fiel. Und ich musste lernen, keine Erwartungen an den Ritt und sein Ergbenis zu stellen, sondern einfach nur zu erkunden, was hier und jetzt möglich ist, mit diesem Pferd. Dadurch können das Pferd und ich entspannter bleiben und Spass am Reiten haben.