Die Kandarenzäumung - nicht nur für Turnierreiter

Auf deutschen Dressurturnieren ist die Kandarenzäumung bekanntlich ab der Klasse M vorgeschrieben. In der Klasse L gibt es Prüfungen, die auf Trense geritten werden müssen und solche, die auf Kandare geritten werden müssen. Das stammt noch aus der Tradition der Kavallerie, wo die Pferde zum Ende der Grundausbildung (ca. Klasse L) und vor dem sogenannten Einrangieren in die Truppe auf Kandare gezäumt wurden, da der Kandarenzaum beim Militär die Standardausrüstung war, quasi ein Teil der “Anzugsordnung”. 

Es wäre einerseits wünschenswert, wenn auch in höheren Klassen das Reiten auf Trense erlaubt wäre, bzw. wenn es Prüfungen in den hohen Klassen gäbe, die auf Trense geritten werden müssen, wie schon von verschiedenen Seiten angeregt wurde.

Andererseits lohnt sich das Studium des Kandarenzaums für jeden ernsthaften Reiter und jede ernsthafte Reiterin, genauso wie sich jeder Pferdeausbilder und jede Ausbilderin mit Handarbeit, Longieren, Langzügelarbeit usw. beschäftigen sollte, um die Vorteile und Limitationen jeder Technik kennenzulernen. Je größer der technische und strategische Werkzeugkoffer ist, desto weniger schnell wird man sich festreiten. 

Die Kandarenzäumung hat überkulturell eine sehr lange Tradition und wird in allen nationalen Reitweisen, insbesondere auch in allen Arbeitsreitweisen eingesetzt, egal ob in der Doma Vaquera, der Working Equitation oder dem Westernreiten. Auch die vier großen Schulen in Wien, Saumur, Queluz und Jerez reiten ihre fortgeschrittenen Pferde alle auf Kandare. Ein weiterer Grund, sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen. Wenn so viele Reitmeister der letzten Jahrhunderte nicht nur der Meinung waren, dass die Kandare ein nützlicher Ausrüstungsgegenstand ist, sondern  auch ausgezeichnete Ergebnisse damit erzielten, sollte man dies ernst nehmen und genauer studieren. 

Es hat im Laufe der Jahrhunderte übrigens genau wie heute immer wieder Modeerscheinungen und “grandiose Neuerungen” gegeben, die die Pferdeausbildung erleichtern oder auch beschleunigen sollten, aber nur diejenigen, die sich in der Praxis allgemein bewährten, haben überlebt. Dazu gehören unter anderem Sattel, Steigbügel, Trense und Kandare. Die anderen sind wieder in Vergessenheit geraten. 

Man kann ein Pferd zwar gänzlich ohne Kandare reiten und auch bis in die höchsten Klassen ausbilden, allerdings bietet die Kandarenzäumung zusätzliche Möglichkeiten der Verfeinerung und Ausdifferenzierung des Dialogs. Man kann das Pferd noch gründlicher gymnastizieren und geschmeidiger machen, da man jeden Winkel der Pferdemuskulatur durch die beiden Gebisse erreichen kann. Man kommt Muskelsteifheiten auf die Spur, die bei Zäumung auf Trense unter Umständen verborgen bleiben, da das Pferd hier mit der Schulter subtil millimeterweise ausweichen kann, sodass manche verspannten Muskeln gar nicht so leicht auffallen.

Je nachdem, für welche Art der Zügelführung man sich entscheidet, kann man mit der Kandarenzäumung die Pferdeschultern präziser positionieren und eine genauere seitliche Einrahmung des Pferdehalses erreichen. Dadurch fühlt man bereits im Ansatz, wenn das Pferd schief zu werden droht und kann es rechtzeitig verhindern. 

Auch vergrößern die beiden Gebisse und ihre vier Zügel das Vokabular sehr deutlich. Man kann noch viel präziser und spezifischer einwirken als nur mit der Trense. 

Die Kandarenzäumung ist Bestandteil der höheren Ausbildung von Reiter und Pferd, vergleichbar der Magisterprüfung oder der Promotion in der akademischen Laufbahn. Beide sollten daher für dieses Studium auch bestimmte Voraussetzungen mitbringen, auf die ich in einem der nächsten Beitrag etwas näher eingehen werde.