Die Kandare ermöglicht einen komplexeren, differenzierteren Dialog

Durch die vier Zügel und die beiden unterschiedlich wirkenden Gebisse empfängt die Reiterin mehr Eindrücke vom Pferd als durch zwei. Sie ist nämlich in der Lage, den gesamten Pferdekörper nicht nur mit Hilfe von Gesäß und Schenkeln zu “scannen”, sondern auch mit Hilfe der Zügel. 

Alle Kontaktflächen zwischen Reiter und Pferd senden und empfangen einen ständigen Strom von Informationen. Selbst wenn man sich passiv verhält, empfängt das Pferd bestimmte Informationen von der Reiterin bezüglich Intention, Stimmung, Muskelspannung, Balance, und anderem mehr. 

Genauso geht vom Pferd ein kontinuierlicher Informationsfluß aus, in den man sich durch die Kontaktflächen der Beine, des Gesäßes und eben auch der Zügel einklinken kann. Je größer diese Kontaktflächen sind, desto mehr Details können Pferd und Reiterin spüren.

Auch sämtliche aktiven Hilfen senden einerseits Impulse mit Informationen an das Pferd, geben aber andererseits auch Rückmeldung an die Reiterin, wie diese Impulse vom Pferd aufgenommen und verarbeitet werden. Die Reiterin kann durch die Reaktion des Pferdes feststellen, ob der Impuls sein Ziel erreicht oder nicht, und auch die innere Einstellung des Pferdes spürt man in der Hand, im Schenkel oder im Gesäß. In gewissem Sinne kann man sich die Hilfen also wie Sonden vorstellen, die man gezielt in verschiedene Körperteile des Pferdes aussendet und die einem doppelten Zweck dienen. Gute, erfahrene Reiter nützen die Hilfen in diesem Sinne ganz automatisch, aber dieser Aspekt der Hilfengebung wird kaum angesprochen.

Schenkelimpulse sollen in der Regel ein Hinterbein dazu auffordern, sich schneller vom Boden zu lösen oder überzutreten. Zügelhilfen können unter anderem seitlich biegen oder das Gewicht des Pferdekopfes und -halses auf ein Bein übertragen, das sich gerade am Boden befindet. 

Geht die Hilfe nicht durch, liegt das daran, dass sie entweder durch einen steifen Muskel abgeblockt wird oder durch eine hypermobile Stelle im Körper (einen sogenannten falschen Knick) ins Leere läuft. Man spürt dies in dem Schenkel oder in der Hand, die die Hilfe ausgesandt hatten. Bei Sitzhilfen spürt man es im Beckenboden, im Gesäßknochen oder in der Rückenmuskulatur.

Die Kandarenzäumung mit ihren vier Zügeln und den unterschiedlich konstruierten Gebissen ermöglicht einen feinmaschigeren Scan des Pferdekörpers, der jeden Winkel erreichen kann. Die Trense eignet sich besser für die biegenden Hilfen, die Kandare besser zur Beugung der Hinterhandgelenke. Dadurch kann man mit beiden Gebissen unterschiedliche Muskelgruppen anfühlen. 

Folgt man der Tradition der alten Spanischen Reitschule und ordnet jedem Gebiss ein diagonales Beinpaar zu, wird der Dialog noch differenzierter und man kann noch mehr Details fühlen. Das Vokabular erweitert sich deutlich, da man jedem Zügel einen ganz bestimmten Aufgabenbereich zuteilt. Ein größeres Vokabular ermöglicht eine präzisere Ansprache und eine komplexere Unterhaltung.

Vereinigt man die beiden Kandarenzügel in einer Hand, wird die Pferdeschulter noch präziser eingerahmt als mit geteilter Zügelführung oder mit der Trense, sodass man jedes seitliche Ausweichen schon im Ansatz deutlicher spürt und damit effektiver verhindern kann.  

Die Kandarenzäumung ist also definitiv ein Instrument für fortgeschrittene Pferde und Reiter, bietet diesen aber äußerst interessante Möglichkeiten der Nuancierung und Präzisierung des Dialogs.