Mögliche Gründe, warum Ihr Pferd nicht durchs Genick geht - Teil 2

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Im letzten Newsletter habe ich einige Aspekte des Reitersitzes und der Hilfengebung erklärt, die das Pferd daran hindern können, durchs Genick zu gehen. Steifheiten in den Reiterhüften, den Handgelenken und Gesäßmuskeln, Gleichgewichtsmangel, Asymmetrien in der Muskulatur der Reiterin, mangelnde Rumpfspannung und schlechtes Timing der Hilfen können alle das Pferd so sehr stören, dass es nicht richtig über den Rücken und durchs Genick gehen kann.


Muskelsteifheiten im Reiterkörper lösen Steifheiten in denjenigen Muskeln des Pferdekörpers aus, die in direktem Kontakt zu den steifen Reitermuskeln stehen.


Ein unausbalancierter Sitz verteilt das Gewicht ungleichmäßig auf dem Pferderücken, wodurch das Pferd aus dem Gleichgewicht gebracht wird. Dieser Mangel an Balance zwingt das Pferd dazu, bestimmte Muskeln im Hals, in den Schultern und Hüften zu verspannen, um sich zu stabilisieren, damit es nicht umfällt, genau wie der unausbalancierte Sitz die Reiterin dazu zwingt, sich mit ihren Händen und Beinen festzuhalten, um nicht herunterzufallen. In manchen Fällen sind Pferd und  Reiter wie zwei Betrunkene, die sich an einander anlehnen, um nicht hinzufallen. Das Pferd legt sich dann auf das Gebiss und die Reiterin hängt in den Zügeln. Beide sind unausbalanciert. Beide hindern einander gegenseitig daran, Selbsthaltung zu finden, aber auf eine seltsame, ungesunde Weise stabilisieren sie einander auch gegenseitig. Es ist ein Teufelskreis, den nur die Reiterin durchbrechen kann, indem sie zuerst sich selbst ausbalanciert und dann dem Pferd hilft, seine Selbsthaltung zu finden, was ein Thema für einen eigenen Newsletter Artikel werden könnte.


In der Reiterei hängt alles mit einander zusammen. Takt, Gleichgewicht, Selbsthaltung, Geraderichtung, Geschmeidigkeit/Steifheit, Rückentätigkeit, Anlehnung, Schwung und Versammlung (d.h. Hankenbeugung) sind alle aufs engste mit einander verwoben.

Reitergleichgewicht und Pferdegleichgewicht, Reiterschiefe und Pferdeschiefe, Reitersteifheit und Pferdesteifheit beeinflussen einander gegenseitig auf sehr direkte Weise. Jede Verbesserung auf einem Gebiet führt zu Verbesserungen auf allen anderen Gebieten. Leider gilt auch das Umgekehrte: Ein Problem auf einem Gebiet hat negative Folgen für das ganze System.


In dieser Newsletterausgabe möchte ich einige Faktoren ansprechen, die in der Muskulatur und dem Exterieur des Pferdes angesiedelt sind und die es dem Pferd schwer oder sogar unmöglich machen können, durchs Genick zu gehen. Manche liegen in bestimmten Exterieurmängeln begründet, andere wurden durch frühere Ausbildungsfehler geschaffen und wieder andere werden von den Asymmetrien, Muskelblockaden und Dysbalancen der gegenwärtigen Reiterin verursacht.


Probleme, die ihren Ursprung im Exterieur haben, werden immer zu einem bestimmten Grad vorhanden sein. Man muss während der gesamten Lebensdauer des Pferdes an ihnen arbeiten. Sie werden im Lauf der Zeit kleiner, aber sie können und werden auch wieder stärker in Erscheinung treten, falls man sie vernachlässigt.


Probleme, die durch frühere Ausbildungsfehler verursacht wurden, können vollständig beseitigt werden. Allerdings kann dies Monate oder Jahre dauern, wenn sie tief genug verwurzelt sind und wenn das schlechte Training lang genug angedauert hatte.


Probleme, die durch Muskelsteifheiten, Schiefe oder Gleichgewichtsmangel der gegenwärtigen Reiterin ausgelöst werden, verbessern sich nur, wenn die Reiterin an sich selbst arbeitet. Eine potentielle Schwierigkeit dabei ist, dass man sich der eigenen Probleme zuerst bewusst sein muss, um an ihnen arbeiten zu können. Daher kann es sehr förderlich sein, wenn man einige Zeit in Yoga, Pilates, Feldenkrais oder Alexander Technik investiert, um die Problemzonen im eigenen Körper zu finden und an ihnen zu arbeiten.

 

Liste der Probleme, die das Pferd mitbringt:

  • Hinterbeine nicht unter dem Körper und nicht genug gebeugt/steife Hüften

  • Mangel an seitlicher und longitudinaler Balance

  • Schiefe

  • Muskelblockaden im Hals und Genick

  • Kurzer, dicker Hals, verwachsenes Genick

  • langer, schwacher Rücken

  • Gerade Hinterbeine

  • Überbaut

  • Hinterbeine hinten herausgestellt


Treten die Hinterbeine nicht genug unter die Last und beugen sich nicht ausreichend unter dem Gewicht, wird der Rücken durchfallen und das Pferd wird, je nach Halsform, entweder über den Zügel gehen oder sich einrollen. Ein Mangel an Hankenbeugung ist gleichbedeutend mit einem Mangel an Gleichgewicht, was Steifheit und Verspannung in bestimmten Muskelgruppen nach sich zieht.


Schlechte seitliche Balance ist ein Hauptmerkmal der Schiefe. Dies führt ebenfalls dazu, dass das Pferd seine Beine gegen den Boden stemmt, um nicht umzufallen. Manche Pferde sind besonders empfindlich gegenüber der Schiefe. Wenn ihre Hüften oder Schultern nur wenige Zentimeter von ihrer Linie abweichen, gehen sie über den Zügel oder rollen sich auf. Die Schiefe selbst ist in diesen Fällen so gering, dass man sie kaum bemerkt. Stattdessen bemerkt man jedoch, dass der Pferdekopf und -hals sich nicht an der richtigen Stelle befinden oder dass die Anlehnung nicht so ist, wie man es gerne hätte. Kontrolliert man die Geraderichtung und Gewichtsverteilung, wird man eine leichte Schiefe und einen leichten Balancemangel feststellen. Repariert man diese, wird auch der Pferdekopf in die richtige Position kommen. Sobald man diese Verbindung entdeckt hat, kann man die inkorrekte Kopf- und Halshaltung übersetzen in: Ich muss die Geraderichtung und Balance kontrollieren.


Muskelblockaden im Hals und Genick können es dem Pferd ebenfalls unmöglich machen, durchs Genick zu gehen. Sobald man diese Muskeln dehnt und die Blockaden auflöst, wird das Pferd dem durchs Genick Gehen zumindest viel näher gekommen sein.


Ein kurzer, dicker Hals und ein verwachsenes Genick reduzieren die Mobilität des Pferdes an diesen Stellen, was es schwer macht, mit dem Grad der Aufrichtung durchs Genick zu gehen, der mit den versammelten Gängen einher geht.


Ein langer, schwacher Rücken trägt das Reitergewicht nicht leicht und neigt dazu, sich nach unten durchzudrücken, wodurch die Hinterbeine daran gehindert werden, unter die Last zu treten und die Hals- und Genickmuskulatur sich verspannt.


Gerade Hinterbeine tragen die Last nicht gut, da sie sich nicht leicht beugen. Daher hebt sich auch der Rücken nicht leicht, wodurch wiederum Muskelblockaden im Genick und Hals entstehen. Dasselbe gilt für überbaute Pferde.


Pferde, deren Hinterbeine aufgrund des Exterieurs hinten herausstehen, können nur sehr schwer untertreten und sich unter der Last beugen.


Man kann zwar die Muskulatur des Pferdes stark umwandeln, aber das Skelett läßt sich nicht verändern. Daher werden bestimmte strukturelle, Exterieurmerkmale immer zusätzliche Arbeit verursachen und extra Zeit und Mühe kosten. Andere Merkmale sehen nur so aus, als ob sie Gebäudemängel wären, obwohl sie in Wahrheit nur schlecht entwickelte Muskeln sind.

Durchs Genick und über den Rücken gehen sind letztendlich das Ergebnis von Hinterbeinen, die unter die Last treten und sich dort beugen und damit das Gewicht von Pferd und Reiter ausbalancieren. Geraderichtung ist ein Schlüsselfaktor des Gleichgewichts. Das Gleichgewicht erlaubt dem Pferd sich loszulassen und aufzuhören, sich gegen den Boden und die Reiterin zu stemmen. Ein ausbalanciertes Pferd gebraucht seine Rumpfmuskeln, um Gleichgewicht und Stabilität herzustellen, was es ihm erlaubt, seine Beinmuskulatur für die Bewegung zu verwenden, anstatt sich damit gegen die Reiterin und den Boden zu stemmen. Alle seine Muskeln arbeiten mit einander, anstatt gegeneinander.

 

Wie bekomme ich mein Pferd durchs Genick?


Ich möchte Ihnen an dieser Stelle drei Übungen geben, die das Pferd gewöhnlich in relativ kurzer Zeit durchs Genick treten lassen.


Übung 1:


Diese Übung ist besonders wirksam auf der steiferen Seite des Pferdes.

  • Reiten Sie einen 20m Zirkel im Trab.

  • Vergrößern Sie den Zirkel für 2 Tritte. Die inneren Hilfen bringen das Pferd damit zu den äußeren Hilfen und überträgt das Gewicht auf das äußere Beinpaar.

  • Geben Sie 2 halbe Paraden ins äußere Hinterbein in 2 aufeinanderfolgenden Tritten. Die Paraden verlagern das Gewicht vermehrt auf das äußere Hinterbein. Dadurch können sich die Muskeln auf der Innenseite der Biegung entspannen und das Pferd kann leichter durchs Genick gehen.

  • Vergrößern Sie den Zirkel noch einmal für 2 Tritte.

  • Biegen Sie gegen das innere Vorderbein für 2 Tritte. Damit kann man Verspannungen im Genick und der Ganasche des Pferdes lösen.

Die gesamte Übung dauert 8 Tritte. Alle Hilfen werden erteilt, wenn sich das innere Hinterbein in der Luft befindet. Man kann die Tritte zählen, wenn man die Hilfen gibt. Das hilft auch beim Einhalten des gleichmäßigen Tempos.


Sie können die Übung auch im Schritt reiten, sie ist jedoch effektiver im Trab. Man kann sie sogar im Galopp reiten, was schwieriger ist, aber ebenfalls sehr effektiv sein kann. Anstatt gegen das innere Vorderbein zu biegen, kann man gegen das innere Hinterbein biegen, d.h. also wenn das innere Hinterbein aufgefusst hat.

 

Übung 2:


Diese Übung eignet sich besonders gut für die hohle Seite des Pferdes.

  • Reiten Sie einen 20m Zirkel im Schritt oder Trab.

  • Wechseln Sie ab zwischen einer leichten schulterhereinartigen Stellung und einer leichten konterschulterhereinartigen Stellung mit geringer Abstellung, sodass die Hinterhand nicht ausbrechen kann.

  • Drehen Sie das Pferd um Ihren Sitz, sodass die Kruppe nach innen kommt, wenn die Schultern nach außen gehen und umgekehrt. Während des Übergangs von einem Seitengang zum anderen gibt es meistens einen Moment, in dem sich das Pferd besonders rund und leicht anfühlt und in dem alles mühelos zu fließen scheint. Das ist der Augenblick, in dem das Pferd gebogen-gerade auf einfachem Hufschlag auf die Zirkellinie eingerichtet und ausbalanciert ist. Nach einigen Übergängen zwischen Schulterherein und Konterschulterherein bleibt man in der Stellung, in der das Pferd sich am rundesten und weichsten anfühlt. Sobald es wieder über den Zügel geht, kehrt man zur Schulterherein-Konterschulterherein Übung zurück.

 

Übung 3:

  • Reiten Sie einen 20m Zirkel im Trab in einer leichten schulterhereinartigen Stellung.

  • Geben Sie in 2 aufeinanderfolgenden Tritten einen leichten Bügeltritt in den inneren Bügel, gemeinsam mit einer leichten Parade am äußeren Zügel, wenn das innere Vorderbein aufgefußt ist.

  • Lassen Sie das innere Hinterbein mit dem inneren Schenkel 2 Tritte aktiver übertreten.

  • Geben Sie in den nächsten 2 Tritten einen leichten Bügeltritt in den äußeren Bügel, gemeinsam mit einer leichten Parade am äußeren Zügel, wenn das äußere Hinterbein aufgefußt ist.

  • Lassen Sie das innere Hinterbein mit dem inneren Schenkel noch einmal 2 Tritte aktiver übertreten.

 

Die gesamte Übung dauert 8 Tritte. Alle Hilfen werden erteilt, wenn sich das innere Hinterbein in der Luft befindet. Dies ist eine geraderichtende Übung, die das innere Hinterbein und das äußere Vorderbein mit einander verbindet, sodass das Pferd besser über den Rücken und durchs Genick gehen kann.

 

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Teil 1 - https://www.klassischereitkunst.com/blog-content/moegliche-gruende-warum-ihr-pferd-nicht-durchs-genick-geht-teil