5 Hauptfehler beim Kandarenreiten

Es gibt mehrere Standardfehler, die man beim reiten mit Kandare leider öfter vorkommen. Ich werde hier fünf davon kurz ansprechen.

 

1. Einige Reiter verwenden die Kandare, weil sie ihr Pferd mit der Trense nicht durchs Genick reiten können. Ich erinnere mich an einen Lehrgang bei einem berühmten Ausbilder, an dem eine Reiterin teilnahm, die ihr Pferd auf Kandare gezäumt hatte und schwere Lektionen üben wollte. Der Ausbilder sagte ihr, dass sie und ihr Pferd eigentlich noch nicht kandarenreif wären, sondern dass sie ihr Pferd erst auf Trense geschmeidiger und durchlässiger machen sollte. Sie sagte, dass sie bestimmte Lektionen nur auf Kandare reiten könnte, aber nicht mit der Trense. Er erwiderte nur kurz und prägnant: “Das ist genau das, was ich meine.”

Die Kandare darf auf gar keinen Fall verwendet werden, um Löcher in der Grundausbildung zu überspielen. Ist ein Pferd noch nicht ausbalanciert, geschmeidig und durchlässig genug, um auf Trense durchs Genick und über den Rücken zu gehen, dann wird die Zäumung auf Kandare die Probleme in der Regel eher verschlimmern als verbessern. Man verdeckt dann die Baustellen, aber man beseitigt sie nicht, und die Mängel in der Grundausbildung können dadurch noch größer werden. Ich habe schon Pferde erlebt, die immer nur auf Kandare geritten wurden und auf Trense gar nicht mehr durchs Genick gingen. Diese Pferde wieder weich zu bekommen ist dann ein mühsames, langwieriges Projekt.

Es ist äußerst wichtig, dass man grundsätzlich alle Lektionen, die man übt, auch auf Trense reiten kann. Ein schönes, positives Beispiel dafür war z.B. Dr. Reiner Klimke, der Biotop auf Turnieren immer mit der Trense abritt und die Kandare nur für die Prüfung verwendete.

 

2. Manche Reiter verwenden die Kandare oder auch das Pelham als Bremse, weil sie ihr Pferd z.B. im Gelände mit der Trense nicht im Tempo regulieren können. Das ist allerdings auch ein Notbehelf, der das eigentliche Problem zu umgehen versucht. Hat man das Gefühl, dass man sein Pferd mit der Trense nicht sicher beherrschen kann, sollte man überlegen, wo die Ursache dafür liegt. Ist das Pferd ängstlich und nervös und neigt zum Durchgehen? Ist das Pferd übereifrig und steigert sich beim Springen oder im Gelände immer mehr in die Aufregung hinein? Oder ist es einfach unausbalanciert und undurchlässig?

Manchmal sind die Gründe psychologischer Natur, manchmal liegt es einfach an mangelnder Gymnastizierung. Ist ein Pferd ängstlich, sollte man vielleicht am Boden an der Beziehung und Kommunikation mit dem Pferd arbeiten, um das gegenseitige Vertrauen zu verbessern.

Ist das Pferd unausbalanciert, schiebt es sich in der Regel auf die Vorhand, da die Schubkraft gegenüber der Tragkraft deutlich überwiegt. In diesen Fällen wird sich das Pferd oft mehr oder weniger schwer auf die Zügel legen. Ganz allgemein gesprochen führt jeder Gleichgewichtsmangel zu Verspannungen im Genick, Hals, Rücken und Hinterhand, genauso wie eine Reiterin, die nicht im Gleichgewicht sitzt, sich mit Händen und Beinen festhalten muss, um nicht herunterzufallen. Diese kompensatorischen Verspannungen des Pferdes machen es natürlich hart, steif und undurchlässig und wirken sich entsprechend negativ auf die Anlehnung aus. In diesen Fällen muss man das Pferd erst mit der Trense (oder auch Kappzaum und Trense) ins Gleichgewicht bringen und die Muskelblockaden lösen.

Mit der Kandare kann man zwar diese Steifheit und das Auflegen auf das Gebiss mechanisch bis zu einem gewissen Grad kompensieren, aber die Steifheit und das mangelnde Gleichgewicht werden damit meistens noch verschlimmert. Das einzige, was nachhaltig hilft, ist die Erforschung und Beseitigung der Ursachen.

Sehr oft gehen Ängstlichkeit und mangelndes Gleichgewicht Hand in Hand. Pferde, die kein gutes Körpergefühl besitzen und nicht ausbalanciert sind, sind sehr oft ängstlich und emotionell unausbalanciert. In dem Maße, wie sie ihre Beine besser spüren, körperlich besser ins Gleichgewicht kommen und ihre Muskulatur entspannen können, werden sie auch emotionell ruhiger und ausgeglichener. Beide Ebenen verhalten sich ein wenig wie die Henne und das Ei. Ein physisches Ungleichgewicht kann zu einem emotionellen Ungleichgewicht führen und umgekehrt.

3. Viele Reiter tun so, als ob die Trense und die Kandare gleich gebaut wären und dieselbe Wirkung hätten. Sie verwenden die beiden Zügel daher gleichzeitig, mit derselben Anlehnung und in derselben Art und Weise, als ob sie an demselben Gebiss befestigt wären, anstatt zu differenzieren. Diese Gefahr besteht vor allem bei der heute üblichen Führung mit geteilten Zügeln (2:2). Wenn der Kandarenzügel und der Trensenzügel jeweils nur durch einen Finger geteilt werden, ist es relativ schwierig, die beiden Zügel und Gebisse klar von einander zu trennen und wirklich unabhängig zu benützen. Die Gefahr ist dann relativ groß, dass beim Biegen mit dem Trensenzügel der Kandarenzügel mit eingesetzt wird und dass beim Parieren mit dem Kandarenzügel der Trensenzügel mit betätigt wird. 

Die alten Meister erwähnen immer wieder, dass die Kandare kein gebrochenes Mundstück besitzt und daher nur dann richtig wirken kann, wenn die Zügel in einer Hand gehalten werden. Werden die Kandarenzügel dagegen geteilt, kann es zu einem Verkanten des Kandarengebisses im Maul kommen, wenn die Reiterin den einen Zügel annimmt und den anderen zu lose werden läßt.

Die Differenzierung der vier Zügel ist äußerst wichtig, daher sollte man sich also immer gut überlegen, welche Zügelführung man zu welchem Zweck wählt.
 

4. Bei Pferden mit langem, schlankem Hals besteht immer die Gefahr des Aufrollens im Halsansatz. Diese Pferde verstecken sich hinter der Hand, sodass das Genick für die Einwirkungen der Reiterin unerreichbar ist. Gerade auch Pferde mit geraden Hinterbeinen und relativ starker Schubkraft können die Kruppe hochdrücken, das Maul auf die Brust nehmen und eingerollt weglaufen. Sie treten oft auch mit den Hinterbeinen zu kurz, sodass sie die Stütz- und Beugephase fast ganz vermeiden. Das Kandarengebiß kann hier sogar das Untertreten verhindern.

Man muss die Hinterbeine erst auf Trense durch verschiedene Formen des Übertreten unter den Körper bringen und sie dann mit Hilfe des Körpergewichts beugen. In diesen Fällen geht das Pferd meistens von einem Extrem zum anderen über. Eingerollte Pferde treten meistens nicht unter den Schwerpunkt. Daher beugen sie ihre Gelenke kaum und schieben im Verhältnis viel zu stark. Bringt man die Hinterbeine näher an den Schwerpunkt, sodass sie mehr Zeit am Boden vor der Senkrechten verbringen, gehen sie oft zuerst über den Zügel, weil sie jetzt zwar untertreten, aber ihre Gelenke noch nicht beugen. Erst wenn sie im nächsten Arbeitsschritt anfangen, ihre Hüft- und Kniegelenke zu beugen, werden sie auch ehrlich durchs Genick gehen.

Leider kann man manchmal nicht alles auf einmal bekommen. Daher muss man in Kauf nehmen, dass das Pferd vorübergehend etwas über den Zügel kommt, wenn man die Hinterbeine unter den Körper bringt. Erst wenn die Hinterbeine unter die Last treten, kann man sie mit Hilfe des gemeinsamen Körpergewichts von Pferd und Reiterin beugen und erst wenn sie sich unter der Last beugen, wird das Pferd auch wirklich durchs Genick und über den Rücken gehen.

5. Manche Pferde verkriechen sich hinter die Kreuz- und Schenkelhilfen, wenn sie mit der Kandare geritten werden. Dieser Punkt hängt oft mit dem letzten zusammen. Pferde, die sich verhalten, rollen sich manchmal ebenfalls ein, weil die Hinterhand die Vorhand nicht stützt. Pferde, die sich auch mit der Trense schon verhalten, sollten auf gar keinen Fall auf Kandare gezäumt werden. Pferde, die auf Trense gut vorwärts gehen und sich nur mit der Kandarenzäumung etwas verhalten, müssen dazu gebracht werden, den Kontakt mit den beiden Gebissen zu suchen, indem man auf der ganzen Bahn oder auf dem großen Zirkel die Hinterbeine zum vermehrten Schieben auffordert. Um zu verhindern, dass die Pferde sich hinter Sitz und Schenkel verkriechen, empfahlen die alten Meister, den bisherigen Ausbildungsgang mit der Kandare zu wiederholen, d.h. man ritt im Arbeitstrab auf einfachem Hufschlag vorwärts und nahm die Seitengänge und den Galopp erst dann wieder ins Arbeitsprogramm auf, als das Pferd im Trab ehrlich an beide Gebisse heranging.

Unter Umständen muss man auch später von Zeit zu Zeit zu diesen einfachen Übungen zurückkehren, um die Schubkraft wieder aufzufrischen, falls man den Eindruck hat, dass das Pferd nicht mehr von sich aus vorwärts geht.